Christoph Schlimpert (Genocide Alert) zur SWP-Studie „Über die Responsibility to Protect zum Regimewechsel“ von Lars Brozus und Christian Schaller

Lars Brozus und Christian Schaller von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) greifen in ihrer aktuellen Studie offene Fragen in der Anwendung der Schutzverantwortung auf. Diese wurden zuletzt am deutlichsten in Fall der Libyen-Intervention und der Problematik eines von außen herbeigeführten Regimewechsels aufgeworfen.

In der zweigeteilten Analyse widmet sich Christian Schaller vor allem den völkerrechtlichen Spielräumen und Grenzen eines militärischen Eingreifens im Rahmen der Schutzverantwortung. Zentrale Streitfrage ist in den gegenwärtigen Debatten die Interpretation des VN-Mandates zum Schutz der Zivilisten im libyschen Bürgerkrieg. Die weite Auslegung der Resolution, zur Durchsetzung einer Flugverbotszone wurden militärische Ziele des Gaddafi-Regimes direkt angegriffen, stieß auch bei jenen Staaten auf Kritik, die dem Text ursprünglich zugestimmt hatten.

Schaller kommt in seiner Bewertung jedoch zu dem Schluss, dass ein solches Vorgehen nicht „dem Geist der Schutzverantwortung“ widerspricht. In solch einem Fall schwerster Menschenrechtsverletzungen von Seiten eines Regimes, sei „es kaum mehr möglich, auf die Konfliktparteien neutral und unparteilich einzuwirken.“ Ein Regimewechsel im Rahmen eines Einsatzes sei nicht völkerrechtswidrig, solange er auf den Schutzzweck abziele.

Ein „möglichst stabiler Konsens über die Bedingungen ihrer Umsetzung“ sei im Sinne einer „kohärenten und wirksamen Schutzverantwortungspolitik“ sowie förderlich um bestehende Uneinigkeiten der internationalen Gemeinschaft zu überwinden. Klar gefasste Mandate, eine engere Zusammenarbeit mit den involvierten Regionalorganisationen und eine engere Kooperation mit den aufstrebenden Demokratien seien hierfür wichtig.

Lars Brozus thematisiert in seinem Teil der Studie die „Entwicklungsperspektiven der Schutzverantwortung aus politischer Sicht“. Trotz der mittlerweile festen Verankerung der Schutzverantwortung in der internationalen Politik bestehe Klärungsbedarf hinsichtlich der mit der Norm verbundenen Problemen und Dilemmata.

Der „fehlende politische Wille zum wirksamen Eingreifen“ sei nach wie vor das „größte Hindernis auf dem Weg zu einer gemeinsamen Schutzverantwortungspraxis“. Dies sei auf „mangelndes Vertrauen unter den Mitgliedern der Staatengemeinschaft“ zurückzuführen. Die vom VN-Generalsekretär aufgestellten Leitgedanken zur Autorisierung, Begründung und Durchführung von RtoP-Einsätzen seinen geeignet, vertrauensbildend zu wirken.

Abschließend werden Stand und Perspektive deutscher und europäischer Schutzverantwortungspolitik diskutiert und konkrete Empfehlungen gegeben, wie Deutschland einen stärkeren Beitrag leisten könnte:

  1. Zusammenarbeit mit den demokratischen Gestaltungsmächten: Aufbauend auf bisherigen Erfahrungen Deutschlands als „Brückenbauer“ zwischen den westlichen Staaten und Ländern wie Brasilien, Indien und Südafrika könnte die Bundesrepublik dazu beitragen, dass deren Vorschläge zur „konzeptionellen und operativen Weiterentwicklung der Schutzverantwortung“ Gehör finden und so einen globalen Konsens fördern.
  2. Eine neue internationale Kommission: Deutschland könnte, zusammen mit der Europäischen Union, die Einrichtung einer neuen Kommission, nach Vorbild der von Kanada initiierten „Kommission zu Intervention und Staatensouveränität (ICISS)“ unterstützten. Ziel wäre „die bei der Anwendung der R2P zutage getretenen Defizite und Lücken des Schutzverantwortungskonzepts zu beseitigen bzw. zu füllen.“
  3. Frühwarnung, Prävention und nichtstaatliche Akteure: Deutschland sollte dafür werben, dass mehr Focal Points geschaffen werden und gegebenenfalls deren Einrichtung in Drittstaaten fördern. Zudem sollte die Bundesrepublik mit gutem Beispiel voran gehen und Ressourcen für eine bessere Vernetzung und Koordinierung der verschiedenen NGOs und Frühwarnsysteme bereitstellen. Hierzu könnte das Büro des Sonderberaters des Generalsekretärs für die Verhinderung von Völkermord dienen, dem derzeit die dafür notwendigen finanziellen und personellen Mittel fehlen.

Zur Studie: http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2013_S13_bzs_slr.pdf

Die USA und R2P: Warum ein neuer Bericht aus den USA auch für die deutsche Debatte zur Schutzverantwortung relevant ist

von Sarah Brockmeier

Am 23. Juli veröffentlichten die Brookings Institution, das US Institute for Peace und das US Holocaust Memorial Museum den Bericht einer hochrangigen Arbeitsgruppe zur Schutzverantwortung (Responsibility to Protect). Der Bericht mit dem Titel „The United States and R2P: From Words to Action” wird fünf Jahre nach dem einflussreichen Bericht der Genocide Prevention Task Force[1] veröffentlicht und hat das explizite Ziel eine breitere amerikanische Öffentlichkeit mit dem Konzept der Schutzverantwortung vertraut zu machen. Wie bereits bei der Vorbereitung des Berichts der Genocide Prevention Task Force leiteten zwei hochrangigen ehemalige Regierungsbeamten die Arbeitsgruppe: die ehemalige Außenministerin unter Clinton, Madeleine Albright, und der frühere Sondergesandten für den Sudan unter George W. Bush, Richard Williamson. Unter den über 30 Teilnehmern der Arbeitsgruppe aus Politik, Wissenschaft, Think Tanks, NGOs und Medien befanden sich viele bekannte Namen – von dem ehemaligen kanadischen Außenminister und Miterfinder von RtoP, Lloyd Axworthy, bis zur ehemaligen Planungsstabsleiterin im US-Außenministerium, Anne-Marie Slaugther.  Weiterlesen

Symposium on Cultural Diplomacy & Human Rights

Vergangene Woche nahm Genocide Alert am Symposium on Cultural Diplomacy & Human Rights mit internationalen NGOs und Experten zur Frage teil, wie sich künftige Völkermorde verhindern lassen.

Der Vorsitzende von Genocide Alert, Dr. Robert Schütte, sprach sich unter anderem für verbessete Frühwarnkapazitäten sowie eine schnellstmögliche Operationalisierug des Konzepts der Schutzverantwortung auf nationalstaatlicher Ebene aus.

Mehr Infos unter www.culturaldiplomacy.de

Europas moralische Verantwortung

Europas moralische Verantwortung: Der Bericht der Task Force on the EU Prevention of Mass Atrocities und seine Implikationen für die deutsche Politik

von Gregor Hofmann

Europa hat eine moralische Verantwortung Menschenrechtsverbrechen vorzubeugen und zu stoppen. Diese ergibt sich nicht nur aus der eigenen Geschichte, sondern auch aus direkten oder indirekten Beiträgen europäischer Staaten an solchen Verbrechen. Mit ihrer Unterstützung für die internationalen Schutzverantwortung – die Responsibility to Protect (RtoP) – hat sich die Europäische Union zu dieser Verantwortung bekannt. Die Schutzverantwortung proklamiert, dass jeder Staat die Verantwortung hat seine Bürgerinnen und Bürger vor Menschenrechtsverbrechen wie Völkermord, ethnischen Säuberungen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schützen. Versagt der Einzelstaat in seiner Verantwortung steht die internationale Gemeinschaft in der Pflicht durch Unterstützung des Einzelstaates oder Zwang in Form von Sanktionen bis hin zum Einsatz militärischer Gewalt, mandatiert durch den UN Sicherheitsrat, die bedrohte Bevölkerung zu schützen. Aus diesem Bekenntnis ergibt sich eine Verpflichtung nicht nur die eigene Bevölkerung vor diesen Verbrechen zu schützen, sondern auch auf solche Verbrechen in Drittstaaten zu reagieren bzw. diese zu verhindern. Doch was tut die Europäische Union in diesem Bereich? Weiterlesen

Genocide Alert unterzeichnet Aufforderung an den tschadischen Präsidenten Idriss Deby, den Haftbefehl gegen Umar al-Baschir anzuerkennen

Genocide Alert unterzeichnet Aufforderung an den tschadischen Präsidenten Idriss Deby, den Haftbefehl gegen Umar al-Baschir anzuerkennen. Am 12. Juli 2010 stellte der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) gegen al-Bashir, Präsident des Sudan einen Haftbefehl wegen Völkermords aus. In einem gemeinsamen Schreiben fordern 97 internationale Organisationen den Präsidenten des Tschad dazu auf, den Haftbefehl anzuerkennen, Umar al-Baschir nicht in den Tschad einreisen zu lassen oder den Haftbefahl bei einer Einreise auszuführen.

Pdf.-Version der Aufforderung an den tschadischen Präsident Idriss Deby

Das Jein zur Intervention – Podiumsdiskussion zur Schutzverantwortung

Bereits im Vorfeld der Podiumsdiskussion zum Thema Schutzverantwortung (RtoP) im Rautenstrauch-Joest Museum in Köln hatte der Kölner Stadtanzeiger mit dem Artikel „Das Jein zur Intervention“ die aktuelle Diskussion beleuchtet.
Robert Schütte, Vorsitzenden von Genocide Alert, betonte im Interview mit dem KStA die Wichtigkeit einer Stellungnahme Deutschlands und forderte erneut eine hochrangigen RtoP-Koordinierungsstelle.

Podiusmdiskussion Köln / Foto Herbert Mück

Am Mittwochabend diskutierten Robert Schütte (Genocide Alert), MdB Dr. Rolf Mützenich (Außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion)und Prof. Claus Kreß (Institute for International Peace and Security Law, Universität zu Köln) unter Moderation von Babs Mück (Netzwerk „Eine-Welt Stadt Köln“) das Thema: „Afghanistan, Libyen, Syrien, Mali: Wann soll die internationale Gemeinschaft zum Schutz der Bevölkerung eingreifen – Wenn überhaupt?“ vor einer interessierten Zuhörerschaft.

 

Die Videodokumentation der spannenden Diskussion zum Thema Schutzverantwortung wird in Kürze hier online gestellt.

 

Den Artikel „Das Jein zur Intervention“ finden sie in der Printversion des Kölner Stadtanzeiger vom 30.1.2013.

Podiumsdiskussion zum Thema Schutzverantwortung (Responsbility to Protect) in Köln

 „Afghanistan, Libyen, Syrien, Mali: Wann soll die internationale Gemeinschaft zum Schutz der Bevölkerung eingreifen – Wenn überhaupt?“

Unter diesem provokanten Titel findet am Mittwoch, 30. Januar 2013 um 19.30 Uhr im Forum Volkshochschule im Rautenstrauch-Joest Museum, Cäcilienstr. 29-33, eine weitere Veranstaltung der Gesprächsreihe „Köln und die Welt“ statt.

Außenpolitik-Experten und Menschenrechtler diskutieren über die deutsche Verantwortung für den Schutz bedrohter Zivilbevölkerungen wie zum Beispiel derzeit in Syrien.

Nachrichten über 60.000 Tote, anhaltende Flüchtlingsströme und Menschenrechtsverletzungen wie Massenhinrichtungen erreichen uns täglich aus Syrien. Und Syrien ist nur eines der Länder, in den Menschen durch ihre Regierung keinen Schutz finden: Nachdem die Bundesregierung im Jahr 2011 eine Beteiligung Deutschlands an der NATO-geführten Intervention in Libyen abgelehnt hatte, stellt sich mit dem bestehenden Einsatz in Afghanistan und der eskalierenden Situation in Syrien, Mali und auch wieder im Kongo erneut die Frage: Wann und wo hat die Bundesrepublik eine Schutzverantwortung gegenüber bedrohten Zivilbevölkerungen, und wann sollte sie sich überhaupt an militärischen Auslandseinsätzen beteiligen – wenn überhaupt?

Über die Verantwortung der deutschen und internationalen Politik für die von systematischen Menschenrechtsverbrechen betroffenen Zivilbevölkerungen diskutieren MdB Dr. Rolf Mützenich (Außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion), Prof. Claus Kreß (Institute for International Peace and Security Law, Universität zu Köln) und Robert Schütte (Vorsitzender von Genocide Alert e.V.).

Moderatorin ist Babs Mück vom Netzwerk „Eine-Welt Stadt Köln“.

Der Eintritt ist frei.

Veranstalter sind das Netzwerk „Eine-Welt Stadt Köln“, die Menschenrechtsorganisation Genocide Alert, die Volkshochschule, sowie das Rautenstrauch-Joest-Museum.

Afghanistan, Libyen, Syrien, Mali: Wann soll die internationale Gemeinschaft zum Schutz der Bevölkerung eingreifen – Wenn überhaupt?

Unter diesem provokanten Titel findet am Mittwoch, 30. Januar 2013 um 19.30 Uhr im Forum Volkshochschule im Rautenstrauch-Joest Museum, Cäcilienstr. 29-33, eine weitere Veranstaltung der Gesprächsreihe „Köln und die Welt“ statt.

Außenpolitik-Experten und Menschenrechtler diskutieren über die deutsche Verantwortung für den Schutz bedrohter Zivilbevölkerungen wie zum Beispiel derzeit in Syrien.

Nachrichten über 60.000 Tote, anhaltende Flüchtlingsströme und Menschenrechtsverletzungen wie Massenhinrichtungen erreichen uns täglich aus Syrien. Und Syrien ist nur eines der Länder, in den Menschen durch ihre Regierung keinen Schutz finden: Nachdem die Bundesregierung im Jahr 2011 eine Beteiligung Deutschlands an der NATO-geführten Intervention in Libyen abgelehnt hatte, stellt sich mit dem bestehenden Einsatz in Afghanistan und der eskalierenden Situation in Syrien, Mali und auch wieder im Kongo erneut die Frage: Wann und wo hat die Bundesrepublik eine Schutzverantwortung gegenüber bedrohten Zivilbevölkerungen, und wann sollte sie sich überhaupt an militärischen Auslandseinsätzen beteiligen – wenn überhaupt?

Über die Verantwortung der deutschen und internationalen Politik für die von systematischen Menschenrechtsverbrechen betroffenen Zivilbevölkerungen diskutieren MdB Dr. Rolf Mützenich (Außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion), Prof. Claus Kreß (Institute for International Peace and Security Law, Universität zu Köln) und Robert Schütte (Vorsitzender von Genocide Alert e.V.).

Moderatorin ist Babs Mück vom Netzwerk „Eine-Welt Stadt Köln“.

Der Eintritt ist frei.

Veranstalter sind das Netzwerk „Eine-Welt Stadt Köln“, die Menschenrechtsorganisation Genocide Alert, die Volkshochschule, sowie das Rautenstrauch-Joest-Museum.

Möglichkeiten von RtoP-Einsätzen durch Deutschland unterhalb der Schwelle militärischen Eingreifens

Die derzeitige Situation in Syrien zeigt erneut, wie schnell Zivilisten Opfer von breit angelegter, extremer Gewaltanwendung werden können. Doch ist es weder möglich noch wünschenswert, der Gewalt immer durch ein direktes militärisches Eingreifen Einhalt zu gebieten. Deshalb ist eine stärkere Auseinandersetzung mit jenen Instrumenten erforderlich, mit welchen Zivilisten auch unterhalb der Schwelle eines direkten militärischen Eingreifens effektiv vor Gewalt geschützt werden können. Andernfalls drohen schwerwiegende Konsequenzen; nicht nur für die betroffene Bevölkerung sondern auch für die Glaubwürdigkeit der internationalen  Gemeinschaft.

Deutschland steht mit seinen wiederholten Bekenntnissen zur Schutzverantwortung („Responsibility to Protect“), seinen Kapazitäten und seinen ausgezeichneten diplomatischen Beziehungen in einer besonderen Verantwortung.

Genocide Alert e.V. gibt in diesem Papier einen Überblick über Maßnahmen, welche zu einem besseren Schutz von Zivilisten in bewaffneten Konflikten ergriffen werden können.

Diplomatische Maßnahmen

Diplomatische Instrumente wirken zumeist indirekt und versuchen den beteiligten Parteien gewaltfreie Optionen der Konfliktaustragung zu eröffnen. Die Wirksamkeit der diplomatischen Instrumente hängt maßgeblich davon ab, ob die Gewaltakteure staatlich sind, sowie von ihrer Relevanz innerhalb der Staatengemeinschaft. Je höher die Eskalationsstufe eines Konfliktes, desto geringer die Erfolgschancen diplomatischer Maßnahmen.

–    Mediation: Internationale Vermittlungsgruppen können Konfliktparteien zusammenbringen und Möglichkeiten eines Waffenstillstandes oder Interessenausgleichs verhandeln.

–    Direkte Gespräche: Fernab der Öffentlichkeit können Konsequenzen angedroht und Sicherheiten in Aussicht gestellt werden (bilateral oder im Rahmen einer internationalen oder regionalen Organisation).

–    Internationale Isolation: Durch die Aussetzung von Mitgliedschaften des betroffenen Landes in regionalen und internationalen Organisationen oder die Ausweisung von Botschaftern kann deutlich gemacht werden, dass die Verletzung der Schutzverantwortung von der Staatengemeinschaft nicht hingenommen wird.

–    Sanktionen: Erfahrungen zeigen, dass Sanktionen keineswegs unproblematisch sind. Gezielte, sogenannte „smart sanctions“, können jedoch Wirkung entfalten, ohne die Situation der Zivilbevölkerung unmittelbar zu verschlechtern. Hierzu zählen bspw. Reiseverbote und das Einfrieren von Vermögenswerten von Regierungsmitgliedern. Umfassende Waffenembargos müssen ebenfalls frühzeitig durchgesetzt werden. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass kein militärisches Kräfteverhältnis festgesetzt wird, in dem die Verwundbarkeit einer Gruppe fortbesteht. Handelsembargos können dazu dienen, dass eine Regierung, die Gewalt gegen Teile ihrer Bevölkerung ausübt, an Unterstützung verliert. Eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation kann den Konflikt jedoch zusätzlich verschärfen und die Mehrheitsbevölkerung stärker an die Staatsführung binden.

–    Internationale Strafverfolgung: Durch die Einschaltung des Internationalen Strafgerichtshofes kann klar gemacht werden, dass Gewaltakteure bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht mit einer späteren Verurteilungen rechnen müssen.

Nachrichtendienstliche und technische Möglichkeiten:

Instrumente aus dem Bereich der Telekommunikation können eingesetzt oder den gefährdeten Zivilisten zur Verfügung gestellt werden. Durch geheimdienstliche Erkenntnisse können Informationen weitergegeben und Verbrechen zur strafrechtlichen Verfolgung dokumentiert werden.

–    Überwachung und Weitergabe von Informationen: Durch nachrichtendienstliche Methoden gewonnene Informationen können Aufschluss über Ziele und Pläne der Gewaltakteure geben. Erkenntnisse, z.B. über Truppenbewegungen oder geplante Massaker können an gefährdete Gruppen weitergegeben werden.

–    Einsatz von Satellitentechnik: Satellitenbilder können ausgewertet und die Erkenntnisse veröffentlicht werden, um Beweise für Massenverbrechen und Truppenbewegungen zu liefern und eine vorwarnende und dokumentarische Funktion einnehmen. Dieses Instrument findet seit Ende 2010 als „Satellite Sentinel Projekt“ im Sudan erfolgreiche Anwendung.

–    Dokumentation der Verbrechen: Je nach den jeweiligen Gegebenheiten der Krisensituation können der Bevölkerung Foto-, Video- oder Handykameras bereitgestellt werden. Dies ermöglicht eine frühzeitige und umfassende Dokumentation der Verbrechen und ermöglicht es, der staatlichen Propaganda entgegenzuwirken.

–    Bereitstellung von Internetverbindungen: Während des Arabischen Frühlings wurde die Bedeutung der Internetkommunikation deutlich. In Fällen, in denen das Internet gezielt abgeschaltet wird, sollte eine Verbindung – per Satellit oder externe Funksignale, wieder hergestellt werden.

Gewaltfreie militärische Maßnahmen:

Unterhalb der Schwelle eines breiten Engagements können militärische Maßnahmen ergriffen werden. Manche stellen völkerrechtlich Eingriffe in der Souveränität des Zielstaates ein und müssten vom VN-Sicherheitsrat mandatiert werden.

–    Vorbereitung einer internationalen Mission: Vorbeugende Aufstellung von militärischem, polizeilichem und zivilem Personal durch die VN, regionale Organisationen oder einer Koalition von Staaten, um eine Drohkulisse aufzubauen und schnell eingreifen zu können.

–    Unterbindung von Propaganda- und Kommunikationskanälen: Gewaltanheizende Radiosender oder Fernsehstationen sowie Kommunikationsnetzte können, beispielsweise per Störsender, ausgeschaltet werden. Gewaltakteure können hierdurch in ihrer Schlagkraft eingeschränkt werden.

–    Cyberkriegsführung: Vorhandene Fähigkeiten können zu Sabotage- und Spionagezwecken gegenüber den Gewaltakteuren eingesetzt werden.

–    Immaterielle und materielle Unterstützung: Demokratiebewegungen oder Minderheiten können durch finanzielle und materielle Mittel (z.B. durch die Bereitstellung von nichttötlichen Materialien), sowie Trainings und Informationsweitergaben unterstützt werden. Die Bereitstellung von Waffen ist äußerst kritisch zu bewerten, da deren Verbleib nach Ende des Konfliktes nicht weiter verfolgt werden kann.

Auch vor der Anwendung von nicht-militärischen oder gewaltfreien militärischen Maßnahmen muss geprüft werden, ob diese den Konflikt eskalieren lassen oder einer eventuellen Konfliktbearbeitung entgegenlaufen. Hinsichtlich des Einsatzes der diplomatischen, technischen, nachrichtendienstlichen und nichtmilitärischen Maßnahmen muss jedoch immer der Schutz der Zivilbevölkerung im Zentrum der Überlegungen gestellt werden. Ziel dieser Maßnahmen sollte neben dem Schutz der Zivilbevölkerung auch immer die diplomatische Lösung des Konfliktes sein, ein permanenter Kontakt zu allen Konfliktparteien ist daher unerlässlich.

Christoph Schlimpert
stellvertretender Vorsitzender Genocide Alert e.V.

Zum Dokument als PDF: Möglichkeiten von RtoP-Einsätzen durch Deutschland unterhalb der Schwelle militärischen Eingreifens

Interview der Tagesschau mit Genocide Alert Experten zur Krise im Ostkongo

Der Ostkongo wird seit Jahren mit Gewalt überzogen. Die Ursache dafür liege vor allem in ethnischen Konflikten, sagt der Politologe Christoph Vogel. Im Interview mit tagesschau.de erklärt er zudem, warum die UNO in der Region gescheitert ist – und welche undurchsichtige Rolle Ruanda in dem Konflikt spielt.

tagesschau.de: Die Bilder scheinen sich alle Jahre zu wiederholen: Zehntausende Menschen auf der Flucht, Rebellen und Regierungstruppen, die einander bekämpfen. Warum kommt der Osten Kongos seit Jahrzehnten nicht zur Ruhe?

Christoph Vogel: Das hat verschiedene Gründe. Zum einen ist die Demokratische Republik Kongo als Staat nicht in der Lage, ihr Territorium zu sichern, die Zivilbevölkerung zu schützen – geschweige denn, ihre militärischen Gegner in die Schranken zu weisen. Hinzu kommt: Es gab bei den zahlreichen Konflikten in den vergangenen 20 Jahren immer wieder Einflussnahme von Nachbarstaaten, mal mehr, mal weniger.

Mit dem jetzigen Vorstoß der M23-Rebellen ist die Debatte um Ruandas Einfluss wieder entbrannt. Ruanda spielt auf jeden Fall eine zentrale Rolle, aber wie direkt die Unterstützung Ruandas ist und ob die Befehlskette innerhalb der Rebellengruppe M23 bis zum ruandischen Verteidigungsminister reicht – das lässt sich schwer beweisen. Da wird viel spekuliert.

Verbindungen zum Völkermord von Ruanda

tagesschau.de: Welche Interessen hat Ruanda denn im Kongo?

Vogel: Das reicht zurück bis zum Völkermord von 1994, als Hunderttausende Tutsi in Ruanda ermordet wurden. Viele der damaligen Mörder waren über die Grenze in den Kongo geflüchtet – und die ruandische Regierung will diese dingfest machen. Dabei handelt es sich um Hutu-Milizen. Die M23 hingegen wird von kongolesischen Tutsi befehligt und kontrolliert, als deren Schutzmacht sich Ruanda wiederum versteht.

Der ruandische Präsident Paul Kagame ist selbst Tutsi und hatte in den 1990er-Jahren den Kampf gegen die Hutu unterstützt. Und diese „Jagd“ setzt sich im Nachbarland Kongo fort. Da wird dann behauptet, die „nationale Sicherheit Ruandas“ sei bedroht, oder es gehe um den Schutz der „Brüder und Schwestern“ auf der anderen Seiten der Grenze.

Angesichts der Unfähigkeit der kongolesischen Armee sind die M23-Rebellen aus Sicht Ruandas gewissermaßen Verbündete, um die alten Feinde zu bekämpfen. Hinzu kommen natürlich wirtschaftliche Interessen. In der Region lagern viele Bodenschätze,  unter anderem werden dort Coltan oder Wolfram abgebaut. Trotz verschiedener internationaler Versuche, den Schmuggel einzudämmen, spielt der illegale Handel mit Rohstoffen zwischen Ruanda und Ostkongo nach wie vor eine große Rolle. Denn Ruanda ist für diese Rohstoffe auch ein wichtiges Transitland.

„Auswirkungen der kolonialen Grenzziehung“

tagesschau.de: Sie haben die ethnischen Spannungen und den Kampf um die Ressourcen erwähnt. Was wiegt Ihrer Ansicht nach schwerer – und entfacht den Konflikt immer wieder?

Vogel: Die Rohstoffe sind nicht die eigentliche Ursache des Kriegs, sondern sie begünstigen, dass er immer weitergehen und sich weiter finanzieren kann. Hauptursache sind die koloniale Grenzziehung und die sogenannte Ethnisierung von außen. Denn Huti und Tutsi sind streng genommen keine verschiedenen Ethnien, wurden aber in der Kolonialzeit als solche klassifiziert. Das hat Auswirkungen bis heute.

Hinzu kommt, dass es nicht nur ein Problem zwischen Hutu und Tutsi gibt, sondern auch zwischen den vielen anderen Ethnien, die in der Grenzregion Ostkongo/Ruanda vertreten sind. Und diese Spannungen entzünden sich vor allem an einer Landfrage. Der Ostkongo beispielsweise ist eine der am dichtesten besiedelten Gegenden in der gesamten Region – und auch Ruanda leidet an Platzmangel. Schon seit jeher gab es in dieser Region Landkonflikte, was politisch missbraucht wird und den Konflikt zusätzlich anfeuert.

„Kabila weitgehend abgetaucht“

tagesschau.de: Jenseits dieser Ursachen – wie verhalten sich die kongolesische Regierung und Präsident Joseph Kabila in dem Konflikt? Will er überhaupt Frieden in der Region?

Vogel: Das ist wahrscheinlich eine der kniffligsten Fragen, auf die es derzeit fast keine passende Antwort gibt. Kabila ist weitgehend untergetaucht, abgesehen von einem Fernsehinterview. Es gibt zahlreiche Gerüchte, dass der schwelende Bürgerkrieg ihm und seinen Familienmitgliedern in die Hände spielt. Denn es gibt immer wieder Indizien – auch in den Berichten der UNO -, dass seine Entourage in den Rohstoffhandel involviert ist.

Aber welches Interesse der Präsident tatsächlich verfolgt, ist schwer zu sagen, da er nahezu unsichtbar ist und wenige Informationen aus seinem Umfeld nach außen dringen. Er verfügt zwar über eine Armee; die ist aber in einem derart desolaten Zustand, was die Kommandostrukturen betrifft, dass sie auch gegen kleine, straff organisierte Rebellengruppen wie die M23 wenig ausrichten kann.

tagesschau.de: Und auch die UNO, die im Ostkongo mit bis zu 19.000 Soldaten vertreten ist, scheint nichts bewirken zu können. Wieso?

Vogel: Obwohl es sich bei der Kongo-Mission um den größten UN-Einsatz handelt, ist es für die Blauhelmsoldaten extrem schwierig, in einem Staat mit der Fläche von 2,3 Millionen Quadratkilometern für Ordnung zu sorgen – allein schon was die finanziellen und personellen Mittel angeht. Und die Konfliktlage ist derart verworren, dass es nicht reicht, die widerstreitenden Parteien voneinander zu trennen. Es geht darum, eine Staatlichkeit wiederherzustellen.

Die UNO hat dafür ein sehr komplexes Mandat für den Kongo, das bei genauerem Hinsehen aber kaum durchführbar ist. Der erste Kernpunkt ist der Schutz der Zivilbevölkerung, der zweite die Unterstützung der staatlichen Autoritäten. Der letzte Punkt hatte beim Marsch der Rebellen auf Goma aber zur Folge, dass sich die UNO nicht eingemischt hat, weil die kongolesischen Soldaten sehr schnell geflohen sind und sich ergeben haben.

Somit gab es im Prinzip niemanden mehr, den die Blauhelmsoldaten unterstützen konnten. Denn die UNO ist nicht dazu befugt, alleine einen Verteidigungskrieg zu führen, sondern nur unterstützend für die kongolesische Armee.

tagesschau.de: Sehen Sie irgendeine Chance auf Frieden in der Region?

Vogel: Im Moment erscheint mir das sehr schwierig, weil die kongolesische Regierung und M23 nicht zu Verhandlungen bereit  sind. Vor allem die kongolesische Regierung scheint das zu blockieren. Nur wenn es Zugeständnisse aller Seiten gäbe und einen Dialog aller Beteiligten – und nicht nur derjenigen, die zurzeit an der Macht sind – hätte ein Frieden vielleicht eine Chance. Dann könnte sich mit  vorsichtiger internationaler Unterstützung vielleicht etwas bewegen. Aber danach sieht es leider an allen Fronten nicht aus.

Christoph Vogel hat Politikwissenschaft und Afrikanistik an der Universität Köln sowie Peace and Conflict Studies an der Makerere University in Kampala studiert. Er forschte über bewaffnete Konflikte und humanitäre Hilfe im Kongo, in Uganda, Burundi und Haiti sowie bei der UNO. Vogel ist Stipendiat der Stiftung Mercator und seit 2011 Mitarbeiter von Genocide Alert.

Das Interview führte Jörn Unsöld, tagesschau.de.

Das Interview auf tagesschau.de hier.
Das Kurz-Video mit Interview hier.