Syrien: Ein militärisches Eingreifen zum Schutz der Bevölkerung nicht ausschließen

Die Sy­ri­en-Kri­se hat sich zu ei­nem bru­ta­len Bür­ger­krieg aus­ge­wei­tet, der täg­lich Hun­der­te Zi­vi­lis­ten das Le­ben kos­tet und den ge­sam­ten Na­hen Os­ten in ei­nen Kon­flikt zu stür­zen droht. Zwei mit­ein­an­der ver­bun­de­ne Tra­gö­di­en spie­len sich ab: Die ers­te ist die Po­li­tik des As­sad-Re­gimes, die ih­re ei­ge­ne Be­völ­ke­rung zu­sam­men­schie­ßen und mas­sa­krie­ren lässt. Oh­ne die ge­rings­te Rück­sicht auf men­schen- und völ­ker­recht­li­che Ver­pflich­tun­gen schürt Da­mas­kus ei­nen eth­no-re­li­giö­sen Flä­chen­brand, der in­zwi­schen auch auf die Nach­bar­staa­ten über­greift. Die zwei­te Tra­gö­die ist die Un­fä­hig­keit der in­ter­na­tio­na­len Ge­mein­schaft, die­sem Trei­ben Ein­halt zu ge­bie­ten. Im Ge­gen­satz zu Li­by­en ist der UN-Si­cher­heits­rat sei­ner Schutz­ver­ant­wor­tung (engl. „Re­s­pon­si­bi­li­ty to Pro­tect“) zum Schutz der sy­ri­schen Be­völ­ke­rung bis­her nicht ge­recht ge­wor­den.

Die Ta­bui­sie­rung ei­ner mi­li­tä­ri­schen In­ter­ven­ti­on ist ein Feh­ler

Das Ver­sa­gen der in­ter­na­tio­na­len Ge­mein­schaft ist haupt­säch­lich die Schuld Russ­lands und Chi­nas, die im Si­cher­heits­rat wie­der­holt ihr Ve­to ge­gen ei­ne schär­fe­re Gang­art ge­gen­über Da­mas­kus ein­ge­legt ha­ben. Al­le Ver­su­che zur Ver­hän­gung von Sank­tio­nen ge­gen As­sads Re­gie­rung sind an Mos­kau und Pe­king ge­schei­tert. Der Wes­ten wird nicht mü­de, auf die­se skan­da­lö­se Po­li­tik hin­zu­wei­sen; und doch bleibt die­ser Fin­ger­zeig wohl­feil, so­lan­ge er bloß von der ei­ge­nen Plan­lo­sig­keit ab­lenkt. Ei­ne Stra­te­gie zum Schutz der sy­ri­schen Zi­vil­be­völ­ke­rung ha­ben näm­lich we­der Wa­shing­ton noch Pa­ris, we­der Lon­don noch Ber­lin zu bie­ten. Ei­ne di­plo­ma­ti­sche Lö­sung des Kon­flikts müs­se ge­fun­den wer­den, so die Lo­sung. Gleich­zei­tig be­schwö­ren die Au­ßen­po­li­ti­ker dies- und jen­seits des At­lan­tiks, dass ein mi­li­tä­ri­sches Ein­grei­fen voll­kom­men un­denk­bar sei. Dies war und ist ein Feh­ler.

Die Ta­bui­sie­rung ei­ner mi­li­tä­ri­schen In­ter­ven­ti­on hat die di­plo­ma­ti­schen Be­mü­hun­gen zur Lö­sung der Kri­se un­ter­gra­ben, in­dem As­sad si­gna­li­siert wur­de, dass sei­ne Ver­bre­chen an der ei­ge­nen Be­völ­ke­rung kei­ne Kon­se­quen­zen ha­ben wer­den. Der Wes­ten hat sich auf die­se Wei­se ei­nes wich­ti­gen Druck­mit­tels be­raubt. Da­mas­kus wur­de es so un­nö­tig leicht ge­macht, die Ver­mitt­lungs­be­mü­hun­gen der Ver­ein­ten Na­tio­nen zu igno­rie­ren. Oh­ne ein glaub­haf­tes Es­ka­la­ti­ons­sze­na­rio wa­ren die Frie­dens­in­itia­ti­ven der in­ter­na­tio­na­len Ge­mein­schaft ein hoff­nungs­lo­ses Un­ter­fan­gen. Der Bür­ger­krieg in Sy­ri­en ist in­zwi­schen wei­ter denn je von ei­ner Lö­sung ent­fernt und hat sich so­gar mas­siv ra­di­ka­li­siert. Die bis­he­ri­ge Po­li­tik des Wes­tens ist ge­schei­tert. Es be­darf ei­nes neu­en An­sat­zes.

Al­le Op­tio­nen müs­sen auf den Tisch

Das Ziel ei­nes er­neu­ten An­laufs zur Lö­sung des Sy­ri­en-Kon­flikts muss ei­ne di­plo­ma­ti­sche Lö­sung sein, die das Mor­den mög­lichst schnell be­en­det und in ei­ne Re­gie­rung der na­tio­na­len Ein­heit oh­ne As­sad mün­det. Die Feh­ler die Ver­gan­gen­heit soll­ten hier­bei tun­lichst ver­mie­den und die Rol­le re­gio­na­ler Ak­teu­re an­er­kannt wer­den. Dem­entspre­chend wird man nicht um­hin kön­nen, den be­reits auf­sei­ten von Da­mas­kus in­vol­vier­ten Iran mit im Boot zu be­rück­sich­ti­gen.

Ein Zer­fall Sy­ri­ens in eth­no-re­li­giö­se Par­zel­len birgt das Ri­si­ko gro­ßan­ge­leg­ter eth­ni­scher Säu­be­run­gen und wei­te­rer Mas­sa­ker. Zu­dem könn­te ei­ne neue Se­zes­si­ons­dy­na­mik in den über­wie­gend kur­disch be­wohn­ten Ge­bie­ten aus­lö­sen und ei­nen Krieg mit der Tür­kei vom Zaun bre­chen. Al­len Volks­grup­pen muss des­we­gen ga­ran­tiert wer­den, dass sie in ei­nem neu­en Sy­ri­en ih­ren Platz ha­ben wer­den. Ins­be­son­de­re der bis­lang herr­schen­den ala­wi­ti­schen Min­der­heit soll­te klar­ge­macht wer­den, dass es für sie auch in ei­nem Sy­ri­en oh­ne As­sad ei­ne Zu­kunft gibt. In die­ser Fra­ge ist vor al­lem die sy­ri­sche Op­po­si­ti­on ge­fragt, ei­ne glaub­wür­di­ge Ver­tre­tung und Ein­be­zie­hung der Ala­wi­ten zu schaf­fen. Ei­ne von den Ver­ein­ten Na­tio­nen mit Ex­per­ti­se und Blau­hel­men un­ter­stütz­te Re­gie­rung na­tio­na­ler Ein­heit bie­tet die bes­te Grund­la­ge, al­le Par­tei­en in ei­nen fried­li­chen po­li­ti­schen Pro­zess zu in­te­grie­ren.

Die am we­nigs­ten schlech­te Al­ter­na­ti­ve

Da­mit ei­ne neue di­plo­ma­ti­sche In­itia­ti­ve Er­folg ha­ben kann, soll­te von vorn­her­ein auch ein mi­li­tä­ri­sches Es­ka­la­ti­ons­sze­na­rio auf­ge­baut wer­den. Sy­ri­en, Russ­land, Chi­na und Iran müs­sen ver­ste­hen, dass ei­ne fried­li­che Lö­sung die bes­te und letz­te Chan­ce ist, den Sy­ri­en-Kon­flikt un­ter Wah­rung der ei­ge­nen In­ter­es­sen zu be­en­den. Das Re­gime und sei­ne Un­ter­stüt­zer müs­sen über­zeugt wer­den, dass ein Schei­tern der Di­plo­ma­tie erns­te Kon­se­quen­zen ha­ben wird. Nur dann wer­den sie den not­wen­di­gen Wil­len für ei­nen Kom­pro­miss fin­den. Ein Deal könn­te so­gar frei­es Ge­leit für As­sad mit­ein­schlie­ßen, nicht je­doch ei­ne in­ter­na­tio­nal ga­ran­tier­te Am­nes­tie. Wenn ei­ne fried­li­che Lö­sung mög­lich ist, dann wä­re dies trotz al­ler Schwach­stel­len die bes­te Op­ti­on für Sy­ri­en.

Soll­te es letzt­lich kei­ne Chan­ce für ei­ne fried­li­che Lö­sung ge­ben, soll­te über ein schnel­les und ent­schie­de­nes Ein­grei­fen nach­ge­dacht wer­den. Der Wes­ten soll­te nicht den glei­chen Feh­ler wie in Bos­ni­en be­ge­hen, erst jah­re­lang zu zau­dern, um Tau­sen­de to­te Zi­vi­lis­ten spä­ter doch zu in­ter­ve­nie­ren. Klar ist: Ei­ne hu­ma­ni­tä­re In­ter­ven­ti­on wä­re kei­ne gu­te Op­ti­on; von al­len ver­füg­ba­ren Al­ter­na­ti­ven wä­re sie je­doch auch die am we­nigs­ten schlech­te Lö­sung.

Wenn al­le di­plo­ma­ti­schen Be­mü­hun­gen fehl­schla­gen, wä­re ein Ein­grei­fen das klei­ne­re Übel als ei­ne jah­re­lan­ge Fort­set­zung der Mas­sa­ker. Mi­li­tä­ri­sche Op­tio­nen wei­ter­hin zu ta­bui­sie­ren, ist des­we­gen nicht nur un­klug, son­dern auch un­ver­ant­wort­lich.

 

Die­ser Ar­ti­kel von Ro­bert Schüt­te er­schien on­line am 17.11.2012 im The Eu­ropean.
Robert Schütte auf Twitter folgen unter @robert_schuette

Im Osten nichts Neues? M23-Rebellen erobern die kongolesische Grenzstadt Goma

Eine neue humanitäre Katastrophe und Gewalt gegen die Zivilbevölkerung muss jetzt verhindert werden!

(von Christoph Vogel, Mercator Fellow)

Die Sicherheitslage in den Ostprovinzen der Demokratischen Republik Kongo verschlechtert sich weiter. In Nord- und Südkivu, wo insgesamt zwischen 20 und 30 verschiedene Milizgruppen ihr Unwesen treiben verlagern sich die Kräfteverhältnisse zugunsten der Bewegung des 23. März (M23), einer nichtstaatlichen bewaffneten Gruppe, die sich aus Deserteuren der Regierungsarmee FARDC zusammensetzt. Jene waren seit April in verschiedenen Schüben aus der Armee geflohen und konnten in verschiedenen Gebieten nördlich von Goma schnelle Gebietsgewinne erzielen (Interview Christoph Vogel vom 19.7.2012 für Genocide Alert). Nach einer längeren Feuerpause zwischen M23 und FARDC, unter anderem aufgrund diverser diplomatischer Bemühungen regionaler und internationaler Vermittlungsakteure, wie UN, AU, und ICGLR, brachen um den 15. November neuerliche Gefechte aus.

Der Fall Gomas

Gegen die marode kongolesische Armee, selbst Verursacherin eines großen Teils der Kriegsverbrechen in der Region, konnten die besser trainierten und ausgerüsteten Kombattanten des M23 rapide Zugewinne verbuchen. Die Kampfhandlungen kulminierten am 20. November im direkten Angriff auf die Provinzhauptstadt Goma, die innerhalb weniger Stunden in die Hände der Aufständischen fiel. Weder FARDC noch die UN-Truppen der MONUSCO leisteten nennenswerten Widerstand – was eine unmittelbare humanitäre Tragödie vorerst verhinderte, da es nicht zum Häuserkampf auf Goma kam. Zahlreiche mediale und zivilgesellschaftliche Quellen aus der Stadt berichten dennoch von Plünderungen (durch fliehende FARDC-Soldaten) sowie willkürliche Exekutionen (durch M23-Soldaten). Im Anschluss an die Machtübernahme in Goma kündigte M23 an, alle verbliebenen Staatsangestellten (Polizei, Militär, Verwaltung) schnellstmöglich in seine eigene Verwaltungsstruktur einzugliedern und erneuerte die Forderung nach Verhandlungen mit der kongolesischen Regierung unter Präsident Kabila, dessen Legitimität nach den verkorksten Wahlen vor einem Jahr stark beschädigt ist. Bislang verweigert sich die Regierung Kabila jeglichen direkten Verhandlungen mit M23, unter Bezugnahme auf Indizien, die eine substantielle Unterstützung der Meuterer durch Ruanda und neuerdings auch Uganda unterstellen.

Die Kivuprovinzen bleiben Brandherd

Sources: Protection Cluster South Kivu; MONUSCO; Oxfam GB.Nach der Eroberung Gomas bleibt die Lage in Bezug auf Sicherheit und Versorgung in beiden Kivuprovinzen prekär. Sollte sich die kongolesische Regierung weiterhin sperren, Verhandlungen mit M23 einzugehen, so drohen diese, auch die Provinzhauptstadt des Südkivu, Bukavu, einzunehmen. Ein gesteigertes militärisches Potential (von anfangs ca. 400 auf nunmehr etwa 2000 straff organisierte und gut ausgerüstete Soldaten) lassen diese Ankündigung realistisch erscheinen. Ginge die Regierung auf das Verhandlungsangebot ein, wäre eine friedvolle Lösung möglich, doch diverse Hindernisse lassen diese Option unwahrscheinlich werden: Einerseits ist es nach der Eskalation der vergangenen Monate kaum mehr denkbar, dass sanktionierte Individuen wie Sultani Makenga, Baudouin Ngaruye oder Innocent Kaina (die militärischen Anführer von M23) in die Regierungsarmee zurückintegriert oder amnestiert werden. Andererseits würde ein Kuhhandel zwischen Regierung und M23, die beide in Großteilen der Kivuprovinzen als illegitime Kräfte betrachtet werden, eine Gewaltspirale auslösen, da Gruppierungen wie Nyatura, FDLR, APCLS, die verschiedenen Raia Mutomboki und diverse andere Mayi Mayi Milizen jenes kaum akzeptieren würden. Eine Graphik zeigt eine ungefähre Verteilung der wichtigsten bewaffneten Gruppen der Region und illustriert die zuvor geschilderte Gefahr.

Die Rolle regionaler und internationaler Akteure

Seit dem Zwischenbericht der UN-Expertengruppe zur Demokratischen Republik Kongo sieht sich das Nachbarland Ruanda wachsenden Vermutungen ausgesetzt, M23 materiell und personell zu unterstützen. Der aktuell dem UN-Sicherheitsrat vorliegende Endbericht (eine Kopie liegt dem Autor vor) untermauert diese Vorwürfe und betont zudem die Rolle Ugandas in diesem Konflikt. Beide Nachbarn des Kongo schauen auf eine bewegte Geschichte verschiedener direkter Interventionen sowie impliziter Unterstützung kongolesischer Rebellen in den vergangenen 20 Jahren zurück, leugnen allerdings jegliche Beteiligung an M23. Die bislang vorgetragenen Indizien lassen nur schwerlich Beweise führen, ein gewisser Einfluss Ugandas, vor allem aber Ruandas scheint jedoch außer Frage. Beide Staaten sind, wie der Kongo, Mitglieder der Internationalen Konferenz der Region der Großen Seen (ICGLR), die als vermittelndes Organ von UN und AU interveniert. Bis zum heutigen Tage, an dem ein weiteres Mal Staats- und Regierungschefs der ICGLR in Kampala tagen, hat die Regionalorganisation außer einem erweiterten gemeinsamen Verifikationsmechanismus zur Granzüberwachung (EJVM) wenig erreicht. Die Entsendung einer multinationalen, neutralen Friedenstruppe, die zusätzlich zur MONUSCO die Region stabilisieren und die Zivilbevölkerung schützen soll, liegt in weiter Ferne, da die Modalitäten in Bezug auf finanzielle und personelle Aspekte unklar bleiben. Darüber hinaus sehen Beobachter die Erfolgschancen einer solchen Intervention skeptisch, da dies zunächst eine weitere Militarisierung der kriegsgeplagten Kivuprovinzen in der Person von Soldaten, deren Verhalten nicht abzusehen ist, bedeutete. Derzeit tagt ebenfalls der UN-Sicherheitsrat zum Thema und es gibt Überlegungen, das Mandat der MONUSCO der seit dem 20. November veränderte Lage anzupassen. Ein Quantensprung ist aus New York jedoch angesichts multipler Interessen, der Präsenz Ruandas im Sicherheitsrat (bis 1. Januar 2013 zwar noch ohne Stimmrecht im Rahmen der Einführung der fünf neuen nichtständigen Mitglieder) sowie der nicht abzusehenden Bereitschaft der truppenstellenden Staaten kaum zu erwarten.

Was nun zu tun ist

Trotz dieser alles andere als vielversprechenden Gemengelage, müssen die nationalen, regionalen und internationalen Akteure weiter zu verstärktem konstruktiven Engagement aufgefordert werden. Die Lösung der humanitären Krise im Kongo hängt nach wie vor von der Beendigung der bewaffneten Konflikte und der damit einhergehenden Menschenrechtsverletzungen ab. Hierzu sind folgende Maßnahmen unerlässlich:

1. Die Demokratische Republik Kongo

– muss ihre staatliche Schutzverantwortung gegenüber all ihrer Zivilbevölkerung wahrnehmen und jegliche Menschenrechtsverletzungen ihrer Sicherheitskräfte umgehend unterbinden.

– muss alle Maßnahmen unternehmen, um humanitären Organisationen den Zugang zu den vom Konflikt betroffenen Zivilpersonen zu vereinfachen.

– soll sämtliche politischen und diplomatischen Bemühungen ausschöpfen, um mit M23, ihren Nachbarstaaten sowie allen bewaffneten Gruppen auf ihrem Territorium zielführende Verhandlungen einzugehen.

2. Die Bewegung des 23. März (M23)

– muss alle Maßnahmen unternehmen, um humanitären Organisationen den Zugang zu den vom Konflikt betroffenen Zivilpersonen zu vereinfachen.

– soll mit sofortiger Wirkung ihre militärischen Aktivitäten einstellen und eine friedliche Beilegung des Konflikts mit der Demokratischen Republik Kongo anstreben

– soll jegliche Aktivität, die politische und territoriale Souveränität der Demokratischen Republik Kongo verletzt, einstellen.

3. Die anderen nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen

– müssen alle Maßnahmen unternehmen, um humanitären Organisationen den Zugang zu den vom Konflikt betroffenen Zivilpersonen zu vereinfachen.

– sollen mit sofortiger Wirkung den Dialog mit der Demokratischen Republik Kongo zum Zwecke einer friedlichen Beilegung des Konflikts suchen

– sollen die Allianzbildung mit anderen Gruppen, inklusive M23, sowie kriminellen Elementen der FARDC einstellen, ebenso wie alle anderen Kampfhandlungen.

4. Die Republiken von Ruanda und Uganda

– müssen alle Maßnahmen unternehmen, um humanitären Organisationen den Zugang zu den vom Konflikt betroffenen Zivilpersonen zu vereinfachen.

– sollen mir sofortiger Wirkung jegliche Unterstützung von M23 sowie anderer nichtstaatlicher bewaffneter Akteure einstellen und dies glaubhaft machen.

– sollen sämtliche politischen und diplomatischen Bemühungen ausschöpfen, um den Dialog der Demokratischen Republik Kongo mit M23 und anderen bewaffneten Gruppen auf kongolesischem Territorium zu unterstützen.

5. Die ICGLR und die AU

– müssen alle Maßnahmen unternehmen, um humanitären Organisationen den Zugang zu den vom Konflikt betroffenen Zivilpersonen zu vereinfachen.

– soll im Rahmen der bestehenden Verhandlungsrunden zwischen ihren Mitgliedsstaaten, insbesondere der Demokratischen Republik Kongo, Ruanda und Uganda einen ehrlichen, offenen und zielführenden Dialog fördern.

– soll vor allen anderen Lösungsmöglichkeiten für eine friedvolle Beilegung des Konflikts in Einklang mit völker- und menschenrechtlicher Gesetzgebung eintreten.

6. Die Vereinten Nationen, insbesondere deren Sicherheitsrat

– müssen alle Maßnahmen unternehmen, um humanitären Organisationen den Zugang zu den vom Konflikt betroffenen Zivilpersonen zu vereinfachen.

– soll im Rahmen der bestehenden Friedensmission MONUSCO alle non-eskalativen Maßnahmen ausschöpfen, um die bereits jetzt horrenden humanitären Konsequenzen des Konflikts einzudämmen.

– soll vor allen anderen Lösungsmöglichkeiten für eine friedvolle Beilegung des Konflikts in Einklang mit völker- und menschenrechtlicher Gesetzgebung eintreten.

7. Die bilateralen und internationalen Partner, hier insbesondere Deutschland,

– müssen alle Maßnahmen unternehmen, um humanitären Organisationen den Zugang zu den vom Konflikt betroffenen Zivilpersonen zu vereinfachen.

–  sollen in ihrer Rolle als Mitglieder der Vereinten Nationen und deren Sicherheitsrat auf ein unmittelbares Ende aller Kampfhandlungen in der Demokratischen Republik Kongo drängen.

–  sollen ihren Einfluss im Rahmen internationaler Zusammenarbeit dazu nutzen, alle Konfliktparteien mit politischen Mitteln dazu aufzufordern, ihre Aktivitäten einzustellen.

Christoph Vogel , Mercator Fellow 

(Dieser Artikel spiegelt die persönliche Ansicht des Autors wider.)

Myanmar muss seiner Schutzverantwortung gegenüber den Rohingya nachkommen

Angehörige der muslimischen Minderheit müssen vor Mord, Vertreibung und Hunger geschützt werden

Angesichts des weltweiten Aktionstages am 8. November zur sich in letzter Zeit zuspitzenden Lage der muslimischen Minderheit der Rohingya in Myanmar erklärt Robert Schütte, Vorsitzender von Genocide Alert e.V.:

„Wir sind schockiert über die jüngsten Berichte über die erneute Vertreibung der Minderheit der Rohingya im Norden Myanmars. Die Regierung von Myanmar und insbesondere die Sicherheitskräfte in Rakhine-Staat müssen ihrer Schutzverantwortung gegenüber den Rohingya nachkommen. Die Menschen müssen vor Übergriffen und Vertreibungen geschützt werden, die intern Vertriebenen müssen menschenwürdige Unterkünfte bekommen und Zugang zu Nahrung und medizinischer Versorgung erhalten. Genocide Alert ruft die Bunderegierung und die Europäische Union dazu auf Druck auf die Regierung Myanmars auszuüben, um die von Unterdrückung, Diskriminierung und ethnischen Säuerungen betroffenen Rohingya sowie andere ethnische Minderheiten in Myanmar zu schützen und ihnen ein Menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.“

Angehörige der Rohingya waren in diesem Jahr bereits im Juni von ethnischen Unruhen in Myanmar betroffen: Damals kam es zu heftigen Zusammenstößen zwischen buddhistischen Rakhaing und muslimischen Rohingya. Viele Rohingya flüchteten vor der Gewalt. Das benachbarte Bangladesch allerdings schloss die Grenzen, während Thein Sein, der Präsident von Myanmar, den rund 800.000 im Land lebenden Rohingya mit Ausweisung drohte: Sie hätten die Wahl sich in Lager des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR zu begeben, welches zum damaligen Zeitpunkt allerdings keine Lager in Myanmar betrieb, oder das Land zu verlassen.

Die Rohingya leiden schon lange unter Diskriminierung durch die buddhistische Mehrheitsbevölkerung in Myanmar. Sie werden von der Verfassung nicht als eine der einheimischen Bevölkerungsgruppen angesehen und haben keinen Anspruch auf myanmarische Staatsbürgerschaft.  Sie werden aus ethnischen und religiösen Gründen diskriminiert, ihr Status ist in Myanmar und ebenso in Bangladesch ungeklärt.

Hierzu erklärt Gregor Hofmann, Referent für die Responsibility to Protect bei Genocide Alert e.V.:

„Es ist nicht hinnehmbar, dass das Leid dieser Menschen weltweit kaum Beachtung findet. Die Sicherheitskräfte zeigen wenig Engagement den Übergriffen entgegenzuwirken. Die internationale Gemeinschaft muss reagieren und Myanmar an seine Schutzverantwortung gegenüber allen innerhalb seiner Grenzen lebenden Menschen erinnern. Weitere Zugeständnisse an die Regierung von Myanmar sowie eine Fortsetzung der, im vergangenen Jahr mit der Öffnung Myanmars begonnenen, Normalisierung der Beziehungen zum dortigen Regime müssen eindeutig von einer Verbesserung der Situation der dort lebenden Minderheiten abhängig gemacht werden.“

„Sollten die Rohingya weiterhin Ziel von Übergriffen sein, muss sich schließlich auch der UN Sicherheitsrat mit der Situation dort beschäftigen. Es muss etwas geschehen, die von Hunger, Tod und Vertreibung  bedrohten Menschen dürfen nicht im Stich gelassen werden“, ergänzt Robert Schütte abschließend.

Ein “westafrikanisches Afghanistan”? Zur Staatskrise in Mali und der bevorstehenden Intervention

von Steffen Stürznickel* und Max Lesch**
(Dieser Artikel ist eine aktualisierte Version des Blogposts, der ursprünglich am 10.10.2012 im Bretterblog erschienen ist.)

Mali wurde nach dem Kontrollverlust der Regierung in Bamako über den Norden des Landes seit Januar und dem Coup d’État im März diesen Jahres als das „westafrikanische Afghanistan“ oder das „neue Somalia“ bezeichnet. Am 12. Oktober hat der UN-Sicherheitsrat die Planung einer Eingreiftruppe gefordert, die nun von Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) beschlossen wurde. Wie ist es dazu gekommen? Wer sind die Konfliktparteien und wer sind neben der ECOWAS die zentralen Akteure in Bezug auf die bevorstehende Intervention? Welche Herausforderungen und Gefahren bestehen? Weiterlesen

Das RtoP-Bewusstsein in Deutschlands Zivilbevölkerung

von Julian Rössler

Die Finanz-, Euro- und Wirtschaftskrise hat im letzten Jahr Teile der politisch interessierten Bevölkerung aus ihrer Wohlstandslethargie gerissen und zur Blockupy-Bewegung formiert. In noch weit stärkerem Maße sind die Proteste der Indignados in Madrid und der Bevölkerung in Griechenland ausgefallen. Daneben wurde nicht zuletzt von der Zeitschrift Times 2011 als Jahr der Revolution proklamiert, womit in erster Linie auf den arabischen Frühling Bezug genommen wurde. Doch auch in mikropolitischen Fragestellungen scheint das politische Bewusstsein der Bevölkerung gewachsen – gerade in Deutschland. Über Monate kamen tausende Menschen zu Montagsdemonstrationen gegen das Stuttgart 21 Projekt. Im Februar 2012 demonstrierten mehr als 50.000 Menschen in Deutschland gegen das Anti-Piraterie Abkommen „Acta“. Zum Jahrestag der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima gingen zehntausende Deutsche in vielen Städten auf die Straße.

So positiv diese politische Partizipation junger Menschen jenseits von Partei und Wahlen ist, so zeigt der Fall Syrien dennoch, wie beschränkt das politische Bewusstsein ist. Während nach einhelliger Meinung davon ausgegangen wird, dass das syrische Regime, und anscheinend auch Teile der Opposition, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen und damit die schwersten Massenverbrechen vorliegen, so ruft dies doch keine erkennbare Entrüstung oder allgemeine Empörung in der deutschen Zivilgesellschaft hervor. Zwar wurden auch im Frühjahr Demonstrationen in Berlin gegen die Vorgehensweise des syrischen Regimes abgehalten, von einem Protest, der ein klareres Verhalten sowohl der deutschen Bundesregierung als auch der internationalen Staatengemeinschaft fordert, ist jedoch nichts zu sehen. Die Globalisierung hat zwar eine engere Verflechtung der Welt hervorgebracht, den Einzelnen scheint das Ausland dennoch nur dann zu interessieren, wenn es einen Bezug auf sein geregeltes „Wohlstandsleben“ in Deutschland gibt. Reine Menschlichkeitsbelange scheinen für eine Betroffenheit, die nach außen manifestiert wird, nicht auszureichen. Dabei betreffen uns die Massenverbrechen in Syrien oder anderswo stärker als gemeinhin angenommen. Durch die Anerkennung der Schutzverantwortung, der Responsibility to Protect, durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 2005 hat auch der deutsche Staat die Pflicht übernommen, Massenverbrechen, wie Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und ethnische Säuberungen, zu verhindern – und dies nicht allein in deutschem Hoheitsbereich, sondern überall auf der Welt. Die dreiteilige Schutzverantwortung beinhaltet zwar zunächst die Pflicht in den eigenen nationalen Grenzen diese Massenverbrechen zu verhindern. Daneben besteht jedoch auch die Pflicht, bei Bestehen solcher Verbrechen in anderen Staaten, Beihilfe zu leisten, um diese Verbrechen zu beenden und am Wiederaufbau mitzuwirken, um zukünftige Massenverbrechen zu verhindern. Der Schutzverantwortung, welche 2005 von der Generalversammlung verabschiedet wurde und auf die sich der Sicherheitsrat in seiner Libyen-Resolution 1973 im letzten Jahr bezog, wird zwar teilweise die völkerrechtliche Verbindlichkeit abgesprochen, da Resolutionen der Generalversammlung nicht bindend seien und allein moralische Verpflichtungen statuieren. Dennoch erscheint die mehrmalige Erwähnung der Schutzverantwortung in Resolutionen des Sicherheitsrats  auf eine Etablierung der RtoP als allgemeines Rechtsprinzip oder Gewohnheitsrecht hinzuweisen. Die Entstehung von Gewohnheitsrecht kann völkerrechtlich nur dann entstehen, wenn Staaten über einen längeren Zeitraum eine bestimmte Handlung mit Rechtsüberzeugung vornehmen und diese als verbindlich sehen. Gerade weil wir inmitten des Etablierungsprozesses der Schutzverantwortung als völkerrechtlich bindendes Prinzip stehen, erscheint das Beharren auf diese Norm umso wichtiger.

Was die Durchsetzung der Schutzverantwortung nicht nur in der deutschen Außenpolitik sondern vor allem auch in der Zivilgesellschaft bremst, ist die fehlende Verbindung der deutschen Geschichte und den daraus verbundenen Pflichten mit der Schutzverantwortung. Spätestens seit Joschka Fischers Zeit als Außenminister nimmt die Maxime „Nie wieder Auschwitz“ eine prägende Rolle in der deutschen Außenpolitik ein. „Nie wieder Auschwitz“ stellt die besondere Verantwortung Deutschlands dar, die nicht nur im Auswärtigen Amt sondern auch in der Zivilgesellschaft Anerkennung fand. Während vor dem NATO-Einsatz im Kosovo Demonstrationen sowohl gegen eine militärische Intervention als auch für ein Handeln Deutschlands zur Wahrnehmung seiner internationalen Verantwortung im Kosovo stattfanden und so ein weitreichender Diskurs stattfand, fehlt ein solcher Diskurs jedoch in anderen Fällen, in denen Deutschland seiner Schutzverantwortung nachkommen müsste. Die Vorgänge im Kongo oder Mazedonien wurden, wenn überhaupt, alleine in akademischen Kreisen untersucht, das Handeln Deutschlands in diesen Konfliktherden wurde jedoch nicht auf breiter Ebene gesellschaftspolitisch analysiert. Eine gesellschaftliche Diskussion über eine besondere Verantwortung Deutschlands in der Außenpolitik findet zwar bei Fragen von Rüstungsexporten nach Israel oder Bahrein statt, die „Schutzverantwortung“ fristet in den Diskussionen dagegen immer noch ein Schattendasein.

Dabei stellt die Anerkennung der Schutzverantwortung 2005 die Konstituierung des „Nie wieder Auschwitz“ auf internationaler Ebene dar. In gleicher Weise, wie Ende der 90er Jahre ein Ende der serbischen Massenverbrechen unter Verweis auf „Nie wieder Auschwitz“ gefordert wurde, müsste heute folglich die Beendigung von Massenverbrechen unter Hinweis auf die Schutzverantwortung verlangt werden. Dennoch ist die Schutzverantwortung noch nicht in den Köpfen der Bürger angelangt. Die Enthaltung Deutschlands bei der Libyen-Resolution im letzten Jahr hatte zwar zumindest in der Tagespresse und in akademischen Kreisen für Aufruhr gesorgt, eine Auseinandersetzung mit dieser Frage auf Wählerebene fehlte dagegen. Während in den Vereinigten Staaten eine lautstarke NGO-Gemeinschaft wächst, die sich für dieses Thema engagiert, Politiker anschreibt und durch Veranstaltungen hunderttausende von Menschen erreicht, haben es sich in Deutschland lediglich ein paar wenige Organisationen wie insbesondere die Nichtregierungsorganisation Genocide Alert e.V. zur Aufgabe gemacht, das allgemeine Bewusstsein für die Verpflichtungen, die sich aus der Schutzverantwortung ergeben, zu sensibilisieren.

Um dies zu ändern, müssten die Hauptgründe für das fehlende Bewusstsein der Schutzverantwortung in der Zivilgesellschaftgeändert werden. Zum einen betont das Auswärtige Amt zwar in seinen Stellungnahmen und auf Veranstaltungen zur RtoP die Bedeutung dieses Prinzips, dennoch wurde bisher kein Verantwortlicher im Amt allein für die Schutzverantwortung abgestellt, der bei den internationalen Treffen der nationalen RtoP-Focal Points teilnimmt wie es die Vertreter anderer Staaten wie Dänemark, Frankreich, Costa Rica oder Ghana tun. Die jüngste Ankündigung der Bundesregierung im Rahmen des informellen interaktiven Dialogs der Generalversammlung einen solchen RtoP-Focal Point einzurichten ist zwar zu begrüßen. Wie schnell dies umgesetzt wird und welche Befugnisse dieser haben wird, wird sich aber erst zeigen müssen. Vor diesem Hintergrund verwundert es weniger, dass in der Zivilgesellschaft das Bewusstsein im Hinblick auf die effektive Umsetzung der Verpflichtungen aus der Schutzverantwortung fehlt, solange auch in offiziellen Stellen die Norm nicht als zentrales Element der Außenpolitik verstanden wird.

Zum anderen erscheint es verständlich, dass ein Einsatz von Soldaten mehr Entrüstung aufwirft als der Nicht-Einsatz. Eine Demonstration für den Einsatz von deutschen Soldaten in Syrien erscheint nur schwer vorstellbar. Dennoch, nach der Aufdeckung der Massaker in Bosnien und Ruanda in den 90er Jahren wurde die Empörung über das Nicht-Handeln der westlichen Staaten in der Zivilbevölkerung lautstark vorgetragen. Auch wenn diese Empörung im Moment im Hinblick auf den syrischen Bürgerkrieg noch fehlt, so muss den Bürgerinnen und Bürgern dennoch die Verbindung der Forderung „Nie wieder Auschwitz“ mit der Umsetzung der Schutzverantwortung, notfalls auch mit militärischen Mitteln, vermittelt werden.

Eine stärkere Verankerung der Schutzverantwortung in der Zivilgesellschaft würde dazu führen, dass Deutschland seine außenpolitische Position stärker für die Durchsetzung der Anerkennung der Schutzverantwortung in anderen Staaten einsetzt. Deutschland verpasst im Moment die Möglichkeit, seine starke Rolle im internationalen Staatengefüge, die sich insbesondere aus der Meisterung der Wirtschafts- und Finanzkrise ergeben hat, dazu zu nutzen, in Fragen des Menschenrechtsschutzes eine Vorreiterrolle einzunehmen und insbesondere bei Schwellen- und Entwicklungsländern um Vertrauen für eine Implementierung der RtoP zu werben. Um hier Druck auf die Regierung aufzubauen, muss ein zivilgesellschaftlicher Diskurs über die Durchsetzung der Schutzverantwortung geführt werden.

Es wird Zeit, dass die deutsche Zivilbevölkerung aus ihrer Lethargie erwacht und das wieder entdeckte politische Bewusstsein auch gegen die Verletzung fundamentaler Menschenrechte und Rechtsprinzipien einsetzt.

von Julian Rössler

Die Verantwortung ernst nehmen – der brasilianische Vorschlag einer Responsibility while protecting und die R2P Agenda

Der brasilianische Vorschlag einer Responsibility while Protecting stößt derzeit in Europa auf Skepsis und wird eher als Hindernis für die R2P-Debatte gesehen. Dies ist jedoch eine oberflächliche Betrachtungsweise. Man muss verstehen, dass Brasilien aus einer sehr souvernitätsfreundlichen Position kommt und dass die Intervention in Libyen in Brasilien, aber auch anderswo auf Gegenwind gestoßen ist. RwP ist ein konstruktiver Beitrag zur R2P-Debatte, der von den westlichen Staaten ernst genommen werden sollte. Nur mit RwP sind Länder wie Indien oder Brasilien weiterhin als Unterstützer der R2P zu halten. Zudem zeigt die laufende Debatte, dass die genauen Umrisse von RwP keineswegs fix sind, sondern von Brasilien selbst weiter geprägt werden. In diese Diskussion lohnt es sich einzusteigen.  Weiterlesen

Protokollhof zwischen dem Neu- und Altbau des Auswärtigen Amtes in Berlin (2007), Quelle: Wikimedia

Offener Brief an Bundesaußenminister Westerwelle zur R2P

Heute forderten Genocide Alert, Human Rights Watch und der Gesellschaft für bedrohte Völker in einem offenen Brief offenen Brief an Bundesaußenminister Westerwelle eine bessere Umsetzung der Schutzverantwortung durch Deutschland. Dazu erläuterten die Organisationen ihre Forderungen nach einer RtoP-Koordinationsstelle sowie der Erstellung eins RtoP-Bestandsberichts.

Deutschland zählt innerhalb der Vereinten Nationen nominell zu den Ländern, die das Konzept der Schutzverantwortung am stärksten unterstützen. Eine Strategie zur Umsetzung auf nationaler Ebene ist bisher jedoch noch nicht erkennbar. Ohne eine Institutionalisierung der Schutzverantwortung können Massenverbrechen jedoch nicht systematisch verhindert werden. Deshalb wenden sich Genocide Alert, Human Rights Watch und der Gesellschaft für bedrohte Völker an Bundesaußenminister Westerwelle und bitten ihn sich für eine hochrangige Koordinierungsstelle zur Schutzverantwortung einzusetzen. Durch diese sollen die zahlreichen relevanten Informationen aus der deutschen Außen-, Entwicklungs- und Verteidigungspolitik zusammengeführt und analysiert werden, um daraus eine kohärente deutsche Politik zu entwickeln. Zudem soll ein regelmäßiger Bestandsbericht klarstellen, welche Informationsquellen und Instrumente der Bundesregierung zur Umsetzung der Schutzverantwortung zur Verfügung stehen, wo Mängel sind und wie sich diese beheben lassen. Dadurch soll deutlich werden, welche Handlungsoptionen für die deutsche Politik existieren.

Hier finden Sie den offenen Brief sowie die Diskussionspapiere zu der Koordinierungsstelle und zu dem Bestandsbericht, die Genocide Alert, die Gesellschaft für bedrohte Völker und Human Rights Watch gemeinsam erstellt haben.

Hier zum offenen Brief an Bundesaußenminister Westerwelle von Genocide Alert, Human Rights Watch und der Gesellschaft für bedrohte Völker:

» Download pdf. Offenen Brief an Bundesaußenminister Westerwelle

Mehr Informationen Warum Deutschland eine RtoP-Koordinationsstelle braucht und welche Aufgaben diese erfüllen sollte, gibt es im aktuellen Policy Paper:

» Download pdf. Policy Brief RtoP Koordinator

Mehr darüber wie vorhandene RtoP Informationen und Instrumente besser genutzt werden sollten und welche Fragen ein nationaler RtoP-Bestandsbericht beantworten sollte finden Sie hier:

» Download pdf. Policy Brief RtoP Umsetzung

Deutschland und die R2P: Nie wieder Krieg oder nie wieder Auschwitz?

Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter Tho­mas de Mai­zière hat jüngst wie­der ei­ne ver­stärk­te Si­cher­heits­po­li­ti­sche De­bat­te in Deutsch­land ge­for­dert. Im An­schluss an die jüngs­te in­for­mel­le De­bat­te der UN Ge­ne­rals­ver­samm­lung zur Re­s­pon­si­bi­li­ty to Pro­tect (RtoP) am 5. Sep­tem­ber bie­tet es sich an Deutsch­lands Bei­trag zur in­ter­na­tio­na­len Schutz­ver­ant­wor­tung zu dis­ku­tie­ren. Die Ver­hin­de­rung von und Re­ak­ti­on auf Mas­sen­ver­bre­chen ist an­ge­sichts zwei­er Ma­xi­me deut­scher Au­ßen­po­li­tik – nie wie­der Krieg und nie wie­der Ausch­witz – ein not­wen­di­ges The­ma, dass sich auch in der si­cher­heits­po­li­ti­schen De­bat­te wie­der­fin­den muss, in Deutsch­land aber bis­lang we­nig the­ma­ti­siert wird. Will die Bun­des­re­pu­blik ih­rer in­ter­na­tio­na­len Ver­ant­wor­tung ge­recht wer­den, muss hier­zu­lan­de ei­ne ernst­haf­te Aus­ein­an­der­set­zung mit der Schutz­ver­ant­wor­tung statt­fin­den.

Die Schutz­ver­ant­wor­tung…

Mit der ein­stim­mi­gen An­nah­me der Ab­schluss­do­ku­ments des Welt­gip­fels im Jahr 2005 ha­ben sich al­le Mit­glied­staa­ten der Ver­ein­ten Na­tio­nen mit der „Re­s­pon­si­bi­li­ty to Pro­tect“ prin­zi­pi­ell da­zu be­kannt Völ­ker­mord, Ver­bre­chen ge­gen die Mensch­lich­keit, Kriegs­ver­bre­chen und eth­ni­schen Säu­be­run­gen prä­ven­tiv ent­ge­gen­zu­tre­ten und ge­ge­be­nen­falls ein­zel­ne Staa­ten da­bei zu un­ter­stüt­zen ih­re Schutz­ver­ant­wor­tung ge­gen­über der Be­völ­ke­rung wahr­zu­neh­men. Soll­te ein Staat in der Aus­übung sei­ner Ver­ant­wor­tung gra­vie­rend ver­sa­gen, er­klär­te sich die In­ter­na­tio­na­le Ge­mein­schaft da­zu be­reit durch den Si­cher­heits­rat der Ver­ein­ten Na­tio­nen mit Hil­fe von Zwangs­maß­nah­men, die den Ein­satz mi­li­tä­ri­scher Mit­tel ein­schlie­ßen kön­nen, be­droh­ten Be­völ­ke­run­gen zur Hil­fe zu ei­len. Dies sind die drei Säu­len der RtoP: Die Schutz­ver­ant­wor­tung des Staa­tes, In­ter­na­tio­na­le Hil­fe und Ka­pa­zi­täts­auf­bau so­wie Recht­zei­ti­ge und ent­schie­de­ne Re­ak­ti­on.

Wur­de die RtoP lan­ge vor al­lem in aka­de­mi­schen Zir­keln dis­ku­tiert, so war im Jahr 2011 In Li­by­en und der El­fen­bein­küs­te erst­mals die Le­gi­ti­mie­rung des Ein­sat­zes von Ge­walt zum Schutz von Zi­vi­lis­ten auf Ba­sis der RtoP durch den Si­cher­heits­rat zu be­ob­ach­ten. Wäh­rend der Fall El­fen­bein­küs­te in der deut­schen Öf­fent­lich­keit re­la­tiv un­um­strit­ten war, folg­te der In­ter­ven­ti­on in Li­by­en ei­ne kri­ti­sche De­bat­te, ins­be­son­de­re in Deutsch­land war die deut­sche Ent­hal­tung im Si­cher­heits­rat Ge­gen­stand der Kri­tik (sie­he z.B. auch Be­rich­te bei SPON, SZ und FAZ).

… und das wi­der­sprüch­li­che deut­sche Han­deln zwi­schen Un­ter­stüt­zung und Dis­tan­zie­rung

Die Ent­hal­tung da­mals ver­wun­der­te ei­ner­seits we­gen des deut­schen Aus­sche­rens aus der Po­si­ti­on sei­ner Al­li­ier­ten und dem (zwei­fel­haf­ten) Schul­ter­schluss mit Russ­land  und Chi­na so­wie Bra­si­li­en und In­di­en, die sich eben­falls ent­hal­ten hat­ten. Auch wenn Deutsch­land sich durch sei­ne Ent­hal­tung Ver­trau­en bei Staa­ten wie Bra­si­li­en und In­di­en ver­schafft hat, die der RtoP und ins­be­son­de­re dem dar­auf be­grün­de­ten Ein­satz von Ge­walt kri­tisch ge­gen­über ste­hen, so kann man sie nicht zwin­gend aus der oft zi­tier­ten deut­schen Aus­rich­tung am Zi­vil­mach­ti­de­al er­klä­ren: Zwar strebt die ide­al­ty­pi­sche Zi­vil­macht ei­ne „Zi­vi­li­sie­rung“ der zwi­schen­staat­li­chen Be­zie­hun­gen auch durch ei­ne Ein­he­gung des Ein­sat­zes von Ge­walt an, dies be­inhal­tet al­ler­dings auch ei­ne Un­ter­stüt­zung kol­lek­ti­ver Si­cher­heits­sys­te­me so­wie ei­ne Stär­kung des Völ­ker­rechts. Bei­de hat­te Deutsch­land durch sei­ne Ent­hal­tung zu Li­by­en ver­säumt. Was al­so „von der Li­by­en-Po­li­tik Deutsch­lands in Er­in­ne­rung bleibt, sind Feh­ler und Ver­säum­nis­se ei­ner Zi­vil­macht oh­ne Zi­vil­cou­ra­ge“.

An­de­rer­seits pass­te das deut­sche Ver­hal­ten im Fall Li­by­en gar nicht zur an­sons­ten un­ter­stüt­zen­den Hal­tung Deutsch­lands zur RtoP auf der in­ter­na­tio­na­len Ebe­ne: Deutsch­land war ein star­ker Be­für­wor­ter des In­ter­na­tio­na­len Straf­ge­richts­hofs und wäh­rend der Ver­hand­lun­gen zum rö­mi­schen Sta­tut Mit­glied der Grup­pe der „li­ke-min­ded Sta­tes“. Auch wäh­rend der Ver­hand­lun­gen zur Re­s­pon­si­bi­li­ty to Pro­tect beim Welt­gip­fel 2005 spiel­te Deutsch­land ei­ne un­ter­stüt­zen­de Rol­le und sorg­te ge­mein­sam mit an­de­ren Be­für­wor­tern da­für, dass die RtoP letzt­lich im Gip­fel­do­ku­ment ver­blieb. Auch in der Zeit da­nach setz­te sich die Bun­des­re­pu­blik als Mit­glied der in­for­mel­len Grup­pie­rung „Group of Fri­ends of the Re­s­pon­si­bi­li­ty to Pro­tect“ für ei­ne Stär­kung und Im­ple­men­tie­rung der RtoP auf in­ter­na­tio­na­ler Ebe­ne ein. Da­für rühm­te sich die Re­gie­rung z.B. auch im Be­richt der Bun­des­re­gie­rung zur Zu­sam­men­ar­beit mit den Ver­ein­ten Na­tio­nen im Jahr 2010.

Zu­dem set­ze sich die Bun­des­re­gie­rung nach ei­ge­nen An­ga­ben durch Men­schen­rechts – und Ent­wick­lungs­po­li­tik, zi­vi­le Kri­sen­prä­ven­ti­on, die Stär­kung re­gio­na­ler und in­ter­na­tio­na­ler Or­ga­ni­sa­tio­nen so­wie durch die fi­nan­zi­el­le För­de­rung des Bü­ros der Son­der­be­ra­ter des Ge­ne­ral­se­kre­tärs der Ver­ein­ten Na­tio­nen für die Re­s­pon­si­bi­li­ty to Pro­tect und zur Ver­hin­de­rung von Völ­ker­mord ein (Bun­des­tags­druck­sa­che 17/6712: 3-4). Auch in meh­re­ren Re­de­bei­trä­gen vor den Ver­ein­ten Na­tio­nen sprach sich die Bun­des­re­pu­blik deut­lich für ei­ne Stär­kung der RtoP und de­ren wei­te­re Im­ple­men­tie­rung, auch durch den UN-Si­cher­heits­rat, aus. In­for­mier­te Krei­se be­rich­ten auch, dass An­ge­la Mer­kel ei­nen kri­ti­schen Brief an die bra­si­lia­ni­sche Prä­si­den­tin Rouseff ge­schrie­ben ha­ben soll, nach­dem Bra­si­li­en sein „Re­s­pon­si­bi­li­ty whi­le Pro­tec­ting“-Kon­zept im Herbst 2011 in die De­bat­te ein­ge­bracht hat­te.

Zu­rück­hal­tung des Aus­wär­ti­gen Amts trotz völ­ker­recht­li­cher Ba­sis für die Schutz­ver­ant­wor­tung

Ei­ne Er­klä­rung die­ses wi­der­sprüch­li­chen Ver­hal­tens ist we­ni­ger bei den deut­schen Di­plo­ma­ten in New York zu su­chen: so war z.B. Gun­ther Pleu­ger, der deut­sche Bot­schaf­ter bei den Ver­ein­ten Na­tio­nen wäh­rend des Welt­gip­fels 2005, ein star­ker Un­ter­stüt­zer der RtoP, der auch die Po­li­tik der schwarz-gel­ben Bun­des­re­gie­rung in der Li­by­en-Kri­se stark kri­ti­siert hat­te, auch sein der­zei­ti­ger Nach­fol­ger Pe­ter Wit­tig scheint sich ernst­haft mit dem Kon­zept aus­ein­an­der ge­setzt zu ha­ben. Es ist viel­mehr im Aus­wär­ti­gen Amt in Ber­lin ei­ne ge­wis­se Nicht­be­ach­tung des Kon­zepts be­ob­acht­bar: Da es sich nicht um ei­ne völ­ker­recht­lich ver­an­ker­te Rechts­norm han­delt, ran­gier­te die RtoP wohl lan­ge un­ter­halb der durch Ju­ris­ten ge­präg­ten Auf­merk­sam­keits­schwel­le der Lei­tungs­ebe­ne. Vie­le im li­be­ral ge­führ­ten Au­ßen­mi­nis­te­ri­um schei­nen in der RtoP zu­dem nicht in ers­ter Li­nie ein Mit­tel zur Ver­hin­de­rung von Mas­sen­ver­bre­chen zu se­hen, son­dern viel­mehr die Ge­fahr der Aus­he­be­lung des völ­ker­recht­li­chen Ge­walt­ver­bots.

Doch die­se ju­ris­ti­sche Be­trach­tungs­wei­se greift zu kurz: Auf Ba­sis der Ge­no­zid Kon­ven­ti­on von 1948 sind al­le Staa­ten ver­pflich­tet Völ­ker­mord vor­zu­beu­gen und ihn als Straf­tat­be­stand zu ver­fol­gen. Nach ei­nem Ur­teil des In­ter­na­tio­na­le Ge­richts­hof im Jahr 1996 ist die Ge­no­zid Kon­ven­ti­on in­zwi­schen gar als zwin­gen­des Völ­ker­ge­wohn­heits­recht zu se­hen, was je­den Staat da­zu ver­pflich­tet, al­les in sei­nen Mög­lich­kei­ten lie­gen­de zu tun, um Völ­ker­mord zu ver­hin­dern. Auch laut dem rö­mi­schen Sta­tuts des In­ter­na­tio­na­len Straf­ge­richts­ho­fes aus dem Jahr 1998 sind Völ­ker­mord, Ver­bre­chen ge­gen die Mensch­lich­keit, Kriegs­ver­bre­chen so­wie das Ver­bre­chen der Ag­gres­si­on als in­ter­na­tio­na­le Straf­tat­be­stän­de durch die Un­ter­zeich­ner­staa­ten zu ver­fol­gen. Die­ses Sta­tut ist mit dem Völ­ker­straf­ge­setz­buch auch Teil der deut­schen Recht­spre­chung ge­wor­den. Auch wenn die RtoP selbst kei­ne völ­ker­recht­li­che Norm ist, so ba­siert sie doch auf ver­trag­li­chem und Völ­ker­ge­wohn­heits­recht.

Trotz­dem scheint sich das Aus­wär­ti­ge Amt erst nach der Li­by­en­kri­se ernst­haft mit der RtoP aus­ein­an­der­ge­setzt zu ha­ben. Dies ist auch dar­an zu er­ken­nen, dass sich Deutsch­land erst mit zwei Jah­ren Ver­spä­tung der RtoP Fo­cal Point In­itia­ti­ve Dä­ne­marks, Gha­nas und des Glo­bal Cen­ters fort he Re­s­pon­si­bi­li­ty to Pro­tect an­schlie­ßt. Beim kürz­lich statt­ge­fun­de­nen in­for­mel­len in­ter­ak­ti­ven Dia­log der Ge­ne­ral­ver­samm­lung zur Schutz­ver­ant­wor­tung hat­te die Bun­des­re­gie­rung an­ge­kün­digt, eben­falls ei­ne sol­che Kon­takt­stel­le für die RtoP ein­rich­ten zu wol­len. In sei­ner Re­de be­ton­te der stell­ver­tre­ten­de Bot­schaf­ter Mi­guel Ber­ger zu­dem, dass es in Deutsch­land Struk­tu­ren für ei­ne ef­fek­ti­ve Un­ter­stüt­zung an­de­rer Staa­ten zur Er­fül­lung ih­rer Schutz­ver­ant­wor­tung ge­be und ver­wies hier­bei auf ei­ne res­sort­über­grei­fen­de Ar­beits­grup­pe für zi­vi­le Kri­sen­prä­ven­ti­on und Früh­war­nung so­wie ei­nen un­ter­stüt­zen­den Bei­trat. Sein Ver­weis dar­auf, dass Deutsch­land die RtoP als ganz­heit­li­ches Kon­zept se­he und dass in Fol­ge der Li­by­en-Kri­se der drit­ten Säu­le, sprich der mi­li­tä­ri­schen und nicht-mi­li­tä­ri­schen Re­ak­ti­on auf be­reits statt­fin­den­de Mas­sen­ver­bre­chen, zu viel Auf­merk­sam­keit zu­teil­wer­de ist zwar rich­tig, an­ge­sichts der es­ka­lie­ren­den La­ge in Sy­ri­en aber nicht wirk­lich an­ge­bracht. Schlie­ß­lich kann in Fäl­len in de­nen Kriegs­ver­bre­chen und Ver­bre­chen ge­gen die Mensch­lich­keit be­reits be­gan­gen wer­den, nur ei­ne schnel­le, glaub­wür­di­ge und ent­schie­de­ne Re­ak­ti­on die Tä­ter von wei­te­ren Gräu­el­ta­ten ab­hal­ten. Ge­ra­de mit Blick auf Sy­ri­en wird hier der­zeit, we­gen der Blo­cka­de des UN-Si­cher­heits­ra­tes, al­ler­dings zu we­nig ge­tan.

Dis­kus­si­on und Ana­ly­se der Schutz­ver­ant­wor­tung in Deutsch­land not­wen­dig

An­ge­sichts der La­ge in Sy­ri­en muss da­her auch die De­bat­te über ei­ne Re­form des UN-Si­cher­heits­ra­tes wie­der be­lebt wer­den. Ge­ra­de Deutsch­land, das selbst ei­nen stän­di­gen Sitz im Si­cher­heits­rat an­strebt, soll­te in die­ser Dis­kus­si­on öf­fent­lich Stel­lung be­zie­hen. In­di­en z.B. nutz­te in den ver­gan­ge­nen Jah­ren die De­bat­ten der Ge­ne­ral­ver­samm­lung zur RtoP im­mer wie­der, um ei­ne Re­form des Si­cher­heits­ra­tes an­zu­mah­nen, auch in die­sem Jahr.

Die star­ke Zu­rück­hal­tung der Bun­des­re­pu­blik ge­gen­über In­stru­men­ten aus der drit­ten Säu­le der RtoP ist nicht ziel­füh­rend. Deutsch­land könn­te noch viel mehr tun, bis­lang fehlt hier­zu­lan­de ein Über­blick dar­über, wel­che In­stru­men­te der Bun­des­re­gie­rung an­ge­sichts von Mas­sen­ver­bre­chen zur Ver­fü­gung ste­hen: Das Aus­wär­ti­ge Amt, das Ent­wick­lungs­hil­fe­mi­nis­te­ri­um, der Bun­des­nach­rich­ten­dienst, die Bun­des­wehr und an­de­re Re­gie­rungs­in­sti­tu­tio­nen ver­fü­gen al­le über In­stru­men­te und In­for­ma­tio­nen, die in Be­zug auf die Prä­ven­ti­on und Ver­hin­de­rung von Mas­sen­ver­bre­chen hilf­reich und wich­tig sind. Doch oft schei­nen das Wis­sen, der Mut und der Wil­le zu feh­len, um die ver­füg­ba­ren Mit­tel auch ein­zu­set­zen. Wenn wir, wie von de Mai­zière an­ge­sto­ßen, ei­ne ernst­haf­te si­cher­heits­po­li­ti­sche De­bat­te in Deutsch­land füh­ren wol­len, muss auch die RtoP ernst­haft dis­ku­tiert und in der deut­schen Au­ßen­po­li­tik den ihr zu­ste­hen­den Platz ein­neh­men kön­nen.

Die­ser Bei­trag von Gre­gor Hof­mann ist am 12. Sep­tem­ber be­reits im Bret­ter­blog er­schie­nen.
[Hier zum ori­gi­nal Ar­ti­kel].

Debatte zur Schutzverantwortung in der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 5. September 2012: Der deutsche Beitrag

Während des vierten Dialog der UN-Generalversammlung zur Schutzverantwortung am 5. September 2012 verdeutlichte der Stellvertreter des Ständigen Vertreters Deutschlands Botschafter Miguel Berger, dass die Einzelstaaten im Bezug auf die Schutzverantwortung vor drei wesentlichen Herausforderungen stünden. Hierzu zählten die weitere Ausgestaltung des Konzept, die Operationalisierung der ersten und zweiten Säule auf nationaler Ebene, sowie die Bewältigung der öffentlichen Erwartungen gegenüber der Schutzverantwortung. Bezüglich der Ausgestaltung des Konzept erinnerte Berger daran, dass es keine Musterlösung für die Prävention von und Reaktion auf Massenverbrechen gäbe, sondern jeweils situationsbezogene Lösungen angestrebt werden müssten. Zur Operationalisierung der Schutzverantwortung auf nationaler Ebene kündigte Berger an, dass Deutschland kurz vor der Ernennung eines nationalen Focalpoints für die Schutzverantwortung stehe. Zur öffentlichen Wahrnehmung der Schutzverantwortung äußerte Berger die Sorge der Bundesrepublik, dass die dritte Säule der Schutzverantwortung, zum Nachteil der ersten beiden, zu viel Aufmerksamkeit erhalte. Deutschland betrachte die Schutzverantwortung als ein ganzheitliches Konzept, welches Prävention und Reaktion verbinde. Unten die Rede in voller Länge auf Englisch.

 

 

General Assembly: Statement by Ambassador Berger at the 4th Informal Interactive Dialogue on the Responsibility to Protect

 

Sep 5, 2012

(General Assembly: Statement by Ambassador Berger at the 4th Informal Interactive Dialogue on the Responsibility to Protect)

 

Mr. President,

 

I would like to thank you for convening this important and timely debate, and to express thanks to the Secretary-General for his intervention and his recent report. We also express our gratitude and appreciation for the work undertaken by Prof. Ed Luck in his former capacity as the SG’s Special Adviser on Responsiblity to Protect (R2P).

 

Germany aligns itself with the EU intervention and would like to underline the following additional points:

 

Since 2005, the international community has explicitly embraced the principle that the commission of mass atrocities is not an internal matter enjoying protection from outside interference. Both the General Assembly and the Security Council have repeatedly invoked the Responsibility to Protect which obliges us collectively to act in a timely and decisive manner, through diplomatic and other peaceful means, to prevent the emergence of situations conducive to the commission of such atrocities, and, where necessary to step in and end such acts. Rwanda and Srebenica continue to remind us of this joint responsibility and the ongoing events in Syria certainly fall within the scope of all its three pillars.

 

 

Mr. President,

 

As states, we are all basically facing three challenges: to further shape the concept, to operationalize pillars one and two at the national level, and to manage public expectations vis-à-vis R2P.

 

Regarding the concept, I would like to stress the preventive aspects of R2P as well as the responsibility of states and regional organisations for the implementation of R2P. As the report of the SG illustrates, a multitude of options and instruments are available to allow for tailor-made approaches to preventing or stopping the occurrence of mass atrocities. Thus, there can be no “one size fits all” approach.

 

Also, the full equality of all three pillars precludes  an “either/or approach” with regard to prevention and more coercive action, as well as a strict sequencing of actions under each pillar. Rather, we need to ask ourselves in each case how best to achieve the objective of protecting those who are or may be the target of atrocities. Within this approach, measures under chapter vii, while being a last resort, do not require a prior futile use of other means – as long as the Security Council sees chapter VII measures as the only viable option.

 

At the same time, we recognise the need to further develop the concept while building on past experiences and we are aware of calls for possible criteria or guidelines for the use of force under the 3rd pillar, as well as for possible procedures to monitor and evaluate such measures in order to satisfy existing information requirements. We welcome that efforts have been made to advance this discussion, and Germany has already engaged in political dialogue with third countries on R2P in order to advance a common understanding of the concept and its 3rd pillar in particular.

 

Regarding the operationalization of R2P at the national level, Germany has set up the structures useful for effective implementation of the second pillar. Our action in this area is guided by the understanding of R2P as a cross-cutting principle. The German Government has established an inter-ministerial working group for civil crisis prevention and early warning and an adjunct advisory council. These bodies have been meeting on country-specific as well as thematic issues related to R2P and will continue to tackle these issues, including those relating to the four crime areas that trigger R2P.

 

Germany is in the process of appointing a national focal point for R2P. The recommendations that have been formulated by the Global Center for R2P in this regard have been very helpful in this process.

 

As to the public perception of R2P,  Germany remains concerned about the prevailing narrow focus on the third pillar. The discussion of NATO’s military action in implementation of Security Council resolution 1973 has unnecessarily further contributed to a reduced awareness of pillars one and two. Let me therefore again stress that we remain committed to the application of R2P as a holistic concept that merges prevention and response.

 

I thank you.

 

 

Quelle: http://www.new-york-un.diplo.de/Vertretung/newyorkvn/en/__pr/speeches-statements/2012/20120906-berger-ga-r2p.html?archive=2984642.

Interview mit Tom Koenigs (Bündnis 90/Die Grünen):„Unter grüner Regierungsverantwortung wäre der Schutz von Menschen vor Massenverbrechen eine außen- und menschenrechtspolitische Priorität.“

Mit ih­rem de­tail­lier­ten An­trag zur Schutz­ver­ant­wor­tung im Bun­des­tag im Mai 2012 zeig­ten die Grü­nen, dass sie sich in­ten­siv mit der Schutz­ver­ant­wor­tung aus­ein­an­der­set­zen. Ei­ner der en­ga­gier­tes­ten Ver­tre­ter der Schutz­ver­ant­wor­tung bei den Grü­nen ist Tom Ko­enigs. Im In­ter­view mit Ge­no­ci­de Alert er­klärt der Vor­sit­zen­de des Aus­schus­ses für Men­schen­rech­te und hu­ma­ni­tä­re Hil­fe des Bun­des­ta­ges die Po­si­ti­on der Grü­nen zur Schutz­ver­ant­wor­tung. Er at­tes­tiert der Bun­des­re­gie­rung Kon­zept­lo­sig­keit im Be­zug auf die Re­s­pon­si­bi­li­ty to Pro­tect und be­zieht auch zu den kon­kre­ten Fäl­len in Li­by­en und Sy­ri­en Stel­lung.

 Ge­no­ci­de Alert: Sie sind ei­ner der stärks­ten Ver­tre­ter  der Re­s­pon­si­bi­li­ty to Pro­tect in ih­rer Frak­ti­on. Die Mei­nung der GRÜ­NEN zur Schutz­ver­ant­wor­tung ist je­doch nicht ein­heit­lich. Was ist ihr wich­tigs­tes Ar­gu­ment, um Zweif­ler in Ih­rer Par­tei von der Schutz­ver­ant­wor­tung zu über­zeu­gen?

Tom Ko­enigs: Ich fin­de es wich­tig, zwi­schen dem Prin­zip der Schutz­ver­ant­wor­tung und den In­stru­men­ten sei­ner Um­set­zung zu un­ter­schei­den. Das Prin­zip ist an­er­kannt. Wir dis­ku­tie­ren dar­über, wie es am wirk­sams­ten um­ge­setzt wer­den kann, al­so wel­che Maß­nah­men in wel­chen Si­tua­tio­nen hilf­reich sind, um Men­schen wirk­sam vor schwers­ten Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen zu schüt­zen und Staa­ten da­bei zu hel­fen. RtoP ist nicht mit mi­li­tä­ri­schen In­ter­ven­tio­nen gleich­zu­set­zen son­dern zielt dar­auf ab, schwers­te Men­schen­rechts­ver­bre­chen wie Völ­ker­mord be­reits im Vor­feld zu ver­hin­dern. Die über­wie­gen­de Mehr­heit der RtoP-Maß­nah­men sind zi­vi­le und di­plo­ma­ti­sche Prä­ven­ti­ons­maß­nah­men, die nicht im Zen­trum der me­dia­len Öf­fent­lich­keit ste­hen. Dar­in müs­sen wir bes­ser wer­den, da­mit mi­li­tä­ri­sche Ein­grif­fe erst gar nicht nö­tig wer­den. Es gibt vie­le Op­tio­nen zwi­schen den Ex­tre­men Nichts­tun oder Ent­sen­dung der Ma­ri­nes.  Zwangs­maß­nah­men als äu­ßers­te Mit­tel ge­hö­ren aber zu ei­nem glaub­wür­di­gen Kon­zept. Men­schen­ver­ach­ten­de Re­gime las­sen sich nicht mit gu­ten Wor­ten am Mor­den hin­dern.

Ge­no­ci­de Alert: In den neun­zi­ger Jah­ren gab es im Rah­men der Krie­ge auf dem Bal­kan hef­ti­ge De­bat­ten zwi­schen den Im­pe­ra­ti­ven „nie wie­der Krieg“ und „nie wie­der Ausch­witz“. Über wel­che Etap­pen hat sich die­se De­bat­te seit 1999 ent­wi­ckelt? Wel­che Rol­le ha­ben bei die­ser Dis­kus­si­on die Kri­sen in Dar­fur und im Kon­go ge­spielt?

Tom Ko­enigs: Schwers­te Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen stel­len uns im­mer vor das Di­lem­ma, uns schul­dig zu ma­chen – durch Ein­grei­fen oder durch Nichts­tun. Die­ses Di­lem­ma wird heu­te aber an­ders dis­ku­tiert als noch vor zehn Jah­ren. Nach den Ver­bre­chen in Ru­an­da 1994, Sre­bre­ni­ca 1995 und im Ko­so­vo 1999 wur­de hef­tig de­bat­tiert, wie le­gi­tim es ist, mit mi­li­tä­ri­schem Ein­grei­fen schwers­te Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen zu ver­hin­dern. In Deutsch­land hat­te man aus Sor­ge vor ei­ner Mi­li­ta­ri­sie­rung der Au­ßen­po­li­tik ei­ni­ge Ele­men­te des Men­schen­rechts­schut­zes ver­nach­läs­sigt. Die in­ter­na­tio­na­le An­er­ken­nung der Schutz­ver­ant­wor­tung 2005 hat die Po­si­tio­nen „Nie wie­der Krieg“ und „Nie wie­der Ausch­witz“ ein­an­der an­ge­nä­hert. Wir re­den nicht mehr über das Recht von Staa­ten zur In­ter­ven­ti­on, son­dern dar­über, dass Staa­ten für den Schutz der ei­ge­nen Be­völ­ke­rung ver­ant­wort­lich sind und dar­über, wie die in­ter­na­tio­na­le Staa­ten­ge­mein­schaft Staa­ten da­bei un­ter­stüt­zen kann. Zi­vi­le prä­ven­ti­ve Maß­nah­men wur­den ex­pli­zit in den Vor­der­grund ge­stellt und mi­li­tä­ri­sches Ein­grei­fen nur im äu­ßers­ten Not­fall und nur mit ei­nem Man­dat des VN-Si­cher­heits­ra­tes ak­zep­tiert.

Fäl­le von lang an­dau­ern­den Ver­bre­chen wie in Dar­fur oder im Kon­go ha­ben ge­zeigt, dass mi­li­tä­ri­sche Zu­rück­hal­tung nicht im­mer wei­ter hilft. Ei­ne früh­zei­ti­ge mi­li­tä­ri­sche Re­ak­ti­on kann in man­chen Fäl­len, wenn sie von zi­vi­len und po­li­ti­schen Maß­nah­men be­glei­tet und ge­folgt ist, zu mehr Frie­den bei­tra­gen als ein ka­te­go­ri­scher Ge­walt­ver­zicht. Im UN-Rah­men ha­ben es ein­zel­ne Staa­ten schwe­rer, für rein macht­po­li­tisch mo­ti­vier­te In­ter­ven­tio­nen Zu­stim­mung zu fin­den. Die Ver­su­che Russ­lands, die In­ter­ven­ti­on in Ge­or­gi­en 2008 mit der Schutz­ver­ant­wor­tung zu be­grün­den oder die Be­mü­hun­gen der US-Re­gie­rung, den Prä­ven­tiv­krieg ge­gen den Irak 2003 mit men­schen­recht­li­chen Zie­len zu le­gi­ti­mie­ren, sind ge­schei­tert.

Ge­no­ci­de Alert: Die Schutz­ver­ant­wor­tung wird von Sei­ten der Frie­dens­be­we­gung ver­däch­tigt, Krie­ge zu le­gi­ti­mie­ren und die Si­tua­ti­on in den ent­spre­chen­den Län­dern so­gar noch zu ver­schlim­mern. Die Par­tei DIE LIN­KE hat in den letz­ten Jah­ren ver­sucht, sich als par­la­men­ta­ri­scher Arm der „An­ti­kriegs­be­we­gung“ dar­zu­stel­len. Kann man als Pa­zi­fist heu­te noch die GRÜ­NEN wäh­len?

Tom Ko­enigs: Es ist ein zi­vi­li­sa­to­ri­scher Fort­schritt, dass die deut­sche Ge­sell­schaft ge­gen­über dem Ein­satz mi­li­tä­ri­scher Ge­walt zu­rück­hal­tend ist. Ab­so­lu­te Ge­walt­frei­heit ist aber nicht zu recht­fer­ti­gen, wenn mas­sen­haf­te Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen durch den Ein­satz von Ge­walt ver­hin­dert wer­den könn­ten. Ge­ra­de wir Deut­schen, die 1945 von ei­nem men­schen­ver­ach­ten­den Re­gime mit Waf­fen­ge­walt und un­ter un­säg­li­chen Ver­lus­ten be­freit wor­den sind, soll­ten die Feh­ler der ame­ri­ka­ni­schen Pa­zi­fis­ten in der Vor­kriegs­zeit nicht wie­der­ho­len. Mit dem RtoP-Kon­zept hat sich die in­ter­na­tio­na­le Ge­mein­schaft dar­auf ver­stän­digt, bei schwers­ten Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen nicht mehr weg­zu­se­hen son­dern sie zu ver­hin­dern, mit zi­vi­len Mit­teln so­weit ir­gend dies geht und nur im äu­ßers­ten Not­fall mit mi­li­tä­ri­schen Mit­teln und das nach der VN-Char­ta. Die­se Ent­wick­lung ist ein wich­ti­ger Schritt der Ver­recht­li­chung und Zi­vi­li­sie­rung in­ter­na­tio­na­ler Po­li­tik und mit ei­nem ra­di­ka­len Pa­zi­fis­mus nicht zu ver­ein­ba­ren. Da­zu ha­ben wir Grü­ne uns nach schwie­ri­gen und lan­gen De­bat­ten durch­ge­run­gen. Bei Völ­ker­mord wol­len wir uns lie­ber we­gen miss­lun­ge­ner als we­gen un­ter­las­se­ner Hil­fe­leis­tung kri­ti­sie­ren las­sen.

Ge­no­ci­de Alert: In ih­rem An­trag zur RtoP hat sich die Frak­ti­on die GRÜ­NEN sehr po­si­tiv und un­ter­stüt­zend zum Kon­zept ge­äu­ßert. Was wür­de sich ver­än­dern, wenn die Grü­nen in der kom­men­den Bun­des­tags­wahl in die Bun­des­re­gie­rung ge­wählt wer­den wür­den?

Tom Ko­enigs: Trotz un­se­rer his­to­ri­schen Ver­ant­wor­tung für die Ver­hü­tung von Völ­ker­mord spielt RtoP in der Au­ßen­po­li­tik der Bun­des­re­gie­rung zur Zeit kaum ei­ne Rol­le. Das deut­sche En­ga­ge­ment für die Schutz­ver­ant­wor­tung ist pro­fil- und kon­zept­los. Wir Grü­ne be­grei­fen RtoP als wich­ti­ge Säu­le ei­ner men­schen­rechts­ge­lei­te­ten glo­ba­len Frie­dens­po­li­tik. Un­ter grü­ner Re­gie­rungs­ver­ant­wor­tung wä­re der Schutz von Men­schen vor Mas­sen­ver­bre­chen ei­ne au­ßen- und men­schen­rechts­po­li­ti­sche Prio­ri­tät. Das be­deu­tet, wir wür­den die prä­ven­ti­ven Ka­pa­zi­tä­ten und Früh­warn­me­cha­nis­men der VN stär­ken, er­neut die Dis­kus­si­on über Kri­te­ri­en für mi­li­tä­ri­sche Maß­nah­men als äu­ßers­tes Mit­tel in den VN-Gre­mi­en an­sto­ßen, VN-Mis­sio­nen im Rah­men von RtoP-Man­da­ten nicht nur fi­nan­zi­ell son­dern auch per­so­nell un­ter­stüt­zen, RtoP in Re­gie­rungs­ge­sprä­chen und Men­schen­rechts­dia­lo­gen an­spre­chen, RtoP-Trai­ning von Bun­des­wehr­sol­da­ten ein­füh­ren, die in­sti­tu­tio­nel­len – und in an­de­ren Län­dern schon exis­tie­ren­den – in­sti­tu­tio­nel­len Vor­aus­set­zun­gen schaf­fen, um schwers­te Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen bes­ser vor­beu­gen und schnel­ler auf sie re­agie­ren zu kön­nen. In un­se­rem An­trag an die Bun­des­re­gie­rung (Druck­sa­che 17/9584) ha­ben wir die­se Zie­le for­mu­liert.

Ge­no­ci­de Alert: Die Ver­hin­de­rung von Mas­sen­ver­bre­chen wur­de kürz­lich von Prä­si­dent Ba­rack Oba­ma als “na­tio­na­les In­ter­es­se” de­fi­niert. Vor die­sem Hin­ter­grund wur­de ein so­ge­nann­tes Atro­ci­ties Preven­ti­on Board ge­grün­det. Auch  die Grü­nen neh­men die Prü­fung ei­ner sol­chen  Idee für Deutsch­land in ih­rem An­trag auf. Wie soll­te ei­ne sol­che In­sti­tu­ti­on in Deutsch­land kon­kret aus­se­hen?

Tom Ko­enigs: Wir ha­ben die Bun­des­re­gie­rung auf­ge­for­dert, sich der In­itia­ti­ve des Glo­bal Cent­re for the Re­s­pon­si­bi­li­ty to Pro­tect (GCR2P) an­zu­schlie­ßen und ei­ne na­tio­na­le Kon­takt­stel­le ein­zu­rich­ten, um schnel­ler über RtoP-Maß­nah­men ent­schei­den und sie bes­ser ko­or­di­nie­ren zu kön­nen. In die­sem Zu­sam­men­hang for­dern wir, ein mit dem in den USA ein­ge­rich­te­ten Atro­ci­ties Preven­ti­on Board ver­gleich­ba­res Gre­mi­um zu schaf­fen. Der Bei­rat setzt sich in den USA aus hoch­ran­gi­gen Ver­tre­tern der Mi­nis­te­ri­en für Äu­ße­res, Ver­tei­di­gung, Ent­wick­lung, Fi­nan­zen und Jus­tiz, der Ge­heim­diens­te, der Streit­kräf­te, der Ver­tre­tung bei den Ver­ein­ten Na­tio­nen und des Bü­ros des Vi­ze­prä­si­den­ten zu­sam­men. Ei­ne deut­sche na­tio­na­le Kon­takt­stel­le für RtoP soll­te eben­falls auf ho­her po­li­ti­scher Ebe­ne an­ge­sie­delt sein. Dies setzt den po­li­ti­schen Wil­len vor­aus, die Ver­hin­de­rung von Mas­sen­ver­bre­chen ganz oben auf die po­li­ti­sche Agen­da zu set­zen. Die Bun­des­re­gie­rung ist der Mei­nung, dass der Bei­rat zi­vi­le Kri­sen­prä­ven­ti­on aus­rei­chend ist. Da­bei ist die Prä­ven­ti­on schwers­ter Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen nicht mit der Prä­ven­ti­on von be­waff­ne­ten Kon­flik­ten gleich­zu­set­zen. RtoP-Ver­bre­chen ste­hen oft aber nicht im­mer di­rekt mit be­waff­ne­ten Kon­flik­ten in Zu­sam­men­hang wie die Fäl­le Kam­bo­dscha 1975-1978 und der Ho­lo­caust zei­gen.

Ge­no­ci­de Alert: Die Li­by­en­in­ter­ven­ti­on wird von vie­len als not­wen­di­ger Ein­griff so­wie als Er­folg für die Schutz­ver­ant­wor­tung be­wer­tet. Deutsch­land hat sich da­mals im Si­cher­heits­rat sei­ner Stim­me ent­hal­ten und ei­ne mi­li­tä­ri­sche Be­tei­li­gung ab­ge­lehnt. Wel­che Leh­ren soll­te die Bun­des­re­pu­blik aus der In­ter­ven­ti­on und dem ei­ge­nen Um­gang mit die­ser Fra­ge zie­hen?  Wür­den Sie sich mit dem heu­ti­gen Wis­sen in ei­ner ähn­li­chen Si­tua­ti­on für ei­ne Be­tei­li­gung an ei­ner mi­li­tä­ri­schen In­ter­ven­ti­on aus­spre­chen?

Tom Ko­enigs: Es war ein schwe­rer mo­ra­li­scher und po­li­ti­scher Feh­ler, dass sich die Bun­des­re­gie­rung an der Sei­te von Russ­land und Chi­na ent­hal­ten hat. Gad­da­fi hat Re­gime­geg­ner öf­fent­lich als „Ka­ker­la­ken“ be­zeich­net, von de­nen Li­by­en „ge­säu­bert“ wer­den müs­se. Die Rück­erobe­rung Ben­ga­sis durch re­gime­treue Trup­pen stand kurz be­vor. In die­ser Si­tua­ti­on hat sich die Bun­des­re­gie­rung ih­rer Schutz­ver­ant­wor­tung für die li­by­sche Be­völ­ke­rung ent­zo­gen. Ein UN-Man­dat mit­zu­tra­gen be­deu­tet nicht au­to­ma­tisch, sich (mi­li­tä­risch) be­tei­li­gen zu müs­sen. RtoP soll an­ge­wen­det wer­den, wo sie Aus­sicht auf Er­folg hat, je­den­falls aber durch ein Ein­grei­fen der in­ter­na­tio­na­len Ge­mein­schaft nicht ver­schlim­mert wird. In Li­by­en war dies im Ge­gen­satz zur ge­gen­wär­ti­gen Si­tua­ti­on in Sy­ri­en ge­ge­ben. Der Fall Li­by­en zeigt aber auch Ge­fah­ren ei­ner Über­deh­nung von RtoP-Man­da­ten. RtoP-Man­da­te soll­ten zeit­lich eng be­grenzt und nur auf den Schutz von Zi­vi­lis­ten be­schränkt wer­den. Kei­ne Si­tua­ti­on schwers­ter Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen gleicht der an­de­ren. Da­her kann ich nicht pau­schal sa­gen, wo ich mich für ei­ne mi­li­tä­ri­sche In­ter­ven­ti­on aus­spre­chen wür­de. Zu Recht hei­ßt es im Ab­schluss­do­ku­ment 2005, dass Ent­schei­dun­gen  von Fall zu Fall ent­schie­den wer­den müs­sen. Ei­ne deut­sche Be­tei­li­gung im Fall Li­by­en hät­te ich aber auch im Rück­blick für an­ge­mes­sen ge­hal­ten.

Ge­no­ci­de Alert: Ist die in­ter­na­tio­na­le Staa­ten­ge­mein­schaft in Sy­ri­en ih­rer Schutz­ver­ant­wor­tung nach­ge­kom­men? Was hät­te man aus heu­ti­ger Sicht zu ei­nem frü­he­ren Zeit­punkt im Fall Sy­ri­en an­ders ma­chen müs­sen?

Tom Ko­enigs: Nicht die in­ter­na­tio­na­le Ge­mein­schaft ent­zieht sich ih­rer Schutz­ver­ant­wor­tung für die sy­ri­sche Be­völ­ke­rung son­dern ein­zel­ne Mit­glieds­staa­ten. Mit ih­rem Ve­to ge­gen drei Re­so­lu­tio­nen des Si­cher­heits­ra­tes ha­ben Russ­land und Chi­na die Staa­ten­ge­mein­schaft dar­an ge­hin­dert, den sy­ri­schen Prä­si­den­ten zum Ab­tre­ten zu zwin­gen und auf ei­ne fried­li­che Lö­sung des Kon­flikts hin­zu­wir­ken. Trotz­dem war die Staa­ten­ge­mein­schaft nicht un­tä­tig: es wur­den Sank­tio­nen ver­ab­schie­det, di­plo­ma­ti­sche Be­zie­hun­gen ab­ge­bro­chen, ein Son­der­be­ra­ter ein­ge­setzt und ein Sechs-Punk­te-Plan mit ei­ner VN-Be­ob­ach­ter­mis­si­on ver­ab­schie­det. Die Frie­dens­mis­si­on Ko­fi An­n­ans kann aber nur so stark sein, wie die Mit­glieds­län­der der Ver­ein­ten Na­tio­nen sie ma­chen. Je mehr Zeit ver­streicht, des­to schwe­rer grei­fen die gut kon­zi­pier­ten Maß­nah­men. Man hät­te vie­les frü­her und bes­ser ma­chen kön­nen. Ich hät­te mir frü­her ein deut­li­ches Si­gnal des Si­cher­heits­ra­tes an As­sad, ein stär­ke­res En­ga­ge­ment der Ara­bi­schen Li­ga, schär­fe­re Sank­tio­nen, ei­ne frü­he­re Aus­wei­sung des sy­ri­schen Bot­schaf­ters aus Deutsch­land aber auch Ver­hand­lun­gen mit dem in der Re­gi­on ein­fluss­rei­chen Iran ge­wünscht.

Ge­no­ci­de Alert: Ne­ben aku­ten Kri­sen wie jüngst in Li­by­en und Sy­ri­en gibt es „ver­ges­se­ne“ Fäl­le, wie den Su­dan oder die DR Kon­go, in wel­chen der Schutz­ver­ant­wor­tung nicht nach­ge­kom­men wird, oh­ne dass die­se durch den „CNN-Ef­fekt“ auf der po­li­ti­schen Ta­ges­ord­nung ste­hen. Wie lässt sich dem bei­kom­men?

Tom Ko­enigs: Das ist ei­ne zen­tra­le Kri­tik am RtoP-Kon­zept. Wir kön­nen aber nicht igno­rie­ren, dass die in­ter­na­tio­na­le Ge­mein­schaft nicht in al­le Kon­flik­ten ein­grei­fen kann. Da muss man rea­lis­tisch blei­ben. Aber nur weil Men­schen nicht über­all vor schwers­ten Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen ge­schützt wer­den (kön­nen), ist es nicht ver­werf­lich,  dass sie dort ge­schützt wer­den, wo es mög­lich ist. Auf­merk­sam­keit auf Fäl­le zu len­ken, die nicht oder kaum auf der po­li­ti­schen Agen­da ste­hen, ist ei­ne Her­aus­for­de­rung von Po­li­tik und Zi­vil­ge­sell­schaft und Or­ga­ni­sa­tio­nen vor Ort. Je mehr es ge­lingt, po­li­ti­schen Druck auf­zu­bau­en, des­to schwie­ri­ger wird es, sol­che Fäl­le zu igno­rie­ren.

Ge­no­ci­de Alert: Sy­ri­en, Dar­fur, Ko­so­vo: Was soll­te ge­tan wer­den, wenn in ei­ner Si­tua­ti­on wie in Sy­ri­en kei­ne Zwei­fel an dem Cha­rak­ter der Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen und dem Be­zug zur Schutz­ver­ant­wor­tung be­ste­hen, der UN-Si­cher­heits­rat je­doch durch ein Ve­to blo­ckiert ist?

Tom Ko­enigs: Wel­ches Vor­ge­hen der in­ter­na­tio­na­len Ge­mein­schaft hilf­reich ist, muss von Fall zu Fall ent­schie­den wer­den. Wenn ein Re­gime Mas­sen­ver­bre­chen an der ei­ge­nen Be­völ­ke­rung be­geht oder zu­lässt und der VN-Si­cher­heits­rat blo­ckiert ist, soll­ten mög­lichst al­le di­plo­ma­ti­schen, po­li­ti­schen und öko­no­mi­schen Mög­lich­kei­ten un­ter­halb die­ser Ebe­ne aus­ge­schöpft wer­den, um das Re­gime zu schwä­chen und po­li­tisch zu iso­lie­ren, z.B. durch ge­ziel­te di­plo­ma­ti­sche Sank­tio­nen, Rei­se­ver­bo­te, Ein­frie­ren von Ver­mö­gens­wer­ten oder Han­dels- und Waf­fen­em­bar­gos. Wenn der Si­cher­heits­rat blo­ckiert ist kann sich die Ge­ne­ral­ver­samm­lung im Sin­ne der „Unit­ing-for-Peace-Re­so­lu­ti­on“ von 1950 mit dem Fall be­fas­sen, Emp­feh­lun­gen an den VN-Si­cher­heits­rat ge­ben und so den Hand­lungs­druck auf die stän­di­gen Mit­glie­der er­hö­hen. Zwangs­maß­nah­men kann sie aber nicht be­schlie­ßen, da­zu ist al­lein der Si­cher­heits­rat be­fugt.

                                                                                                                                                 10. Au­gust 20

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