Die SPD und die Schutzverantwortung
Die SPD bekennt sich klar zum Prinzip der Schutzverantwortung und zeigt an vielen Stellen Einsatz zur Stärkung des Konzepts der R2P innerhalb der EU und der internationalen Gemeinschaft. Sie steht humanitären Interventionen grundsätzlich kritisch gegenüber und betont vor allem die Notwendigkeit des vermehrten Einsatzes von Präventivmaßnahmen zur weiteren Umsetzung der Schutzverantwortung.
Partei und Parteiprogramme
Die SPD bektenn sich in ihrem Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2017 zu einer Außenpolitik basierend auf dem Schutz der Menschenrechte und der internationalen Schutzverantwortung. Dabei diskutiert sie den Menschenrechtsschutz im Kontext seiner demokratischen, ökonomischen und sicherheitspolitischen Strukturen. In ihren Antworten auf die Genocide Alert Wahlprüfsteine 2017 unterstreicht die SPD dies ebenfalls. Sie fordert bestehende Präventionsmaßnahmen zu fördern und weiterzuentwickeln. Als Vorschläge werden der Aufbau eines europäischen zivilen Friedenskorps, die Aufstockung ziviler Friedensfachkräfte im Ausland und eine restriktivere Rüstungsexportpolitik vorgeschlagen.
Beim Aufbau institutioneller Kapazitäten zum Schutz von Menschenrechten bleibt das Wahlprogramm der SPD vage. Auch wenn mehr Ressourcen für Krisenprävention gefordert werden, liefert die SPD keine institutionellen Verbesserungsvorschläge, um nachhaltige, präventive Mechanismen gegen Menschenrechtsverletzungen zu etablieren.
Die SPD spricht sich im Wahlprogramm außerdem für eine Stärkung des internationalen Strafgerichtshofs aus. Neben der Betonung ziviler Konfliktbearbeitung als Reaktion auf schwerste Menschenrechtsverletzungen betont die SPD auch ihre Bekennung zur internationalen Schutzverantwortung. Hierfür wird eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Institutionen der Vereinten Nationen und der EU angestrebt. Vorschläge für Maßnahmen und Instrumente zur Krisenreaktion zusammen mit beispielsweise UN-Friedensmissionen bleibt die SPD in ihrem Wahlprogramm 2017 allerdings schuldig.
In einem Beschluss zur sozialdemokratischen Friedenspolitik auf dem Bundesparteitag im Dezember 2015 bezog die SPD explizit Stellung zur Schutzverantwortung und erklärte die Notwendigkeit des international anerkannten Konzeptes der R2P zur Verhinderung massiver und systematischer Menschenrechtsverletzungen. In ihrem Beschluss empfiehlt die SPD: „Deutschland sollte sich in Europa und international verstärkt für eine größere Akzeptanz des Schutzverantwortungskonzeptes stark machen. Wir wollen insbesondere die zivilen Instrumente in der deutschen und europäischen Außen- und Entwicklungspolitik fördern, so dass gefährdete Staaten in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, Reform des Sicherheitssektors und Stärkung der Zivilgesellschaft präventive Unterstützung erhalten können.“ Der Beschluss betont den Vorrang präventiver Maßnahmen, wie bspw. die Stärkung der Zivilgesellschaft, vor einem Eingriff mit militärischen Mitteln. Innerhalb der UN sei außerdem die Rolle der beiden Sonderberater für Völkermordprävention und Schutzverantwortung aufzuwerten.
In ihrem Hamburger Programm vom 19.11.2015 nimmt die SPD auf die Schutzverantwortung keinen direkten Bezug. Die Verhinderung von Massenverbrechen und der Rolle Deutschlands hierbei wird ebenfalls nicht angesprochen. Allgemeine Verweise wie „Frieden bedeutet für uns mehr als die Abwesenheit von Krieg“ und „Krisenprävention ist die effizienteste Sicherheitspolitik“ sind in dem Programm zu finden. Zudem wird die Absicht erklärt, „die Mittel für zivile Krisenprävention und Krisenreaktion [zu] erhöhen und die Instrumente dieser Politik aus[zu]bauen.“ Der Einsatz militärischer Mittel kommt für die Sozialdemokraten nur als letzte Option in Frage (S. 25).
Bundestagswahl 2017
- In den Genocide Alert Wahlprüfsteinen 2017 zur Prävention von Massenverbrechen bekennt sich die SPD zur Schutzverantwortung.
- Im Genocide Alert Menschenrechtszeugnis zur Bundestagswahl 2017 erhielt die SPD die Note 2+ (gut)
Bundestagsfraktion zwischen 2013 und 2017
In einem wissenschaftlichen Artikel „There shall be no violence“ aus dem Jahr 2013 erinnert der SPD-Bundestagsabgeordnete und derzeitige Außenminister Frank-Walter Steinmeier an die Grundnorm der internationalen Beziehungen, die Gewaltfreiheit, wie sie bereits der große Völkerrechtler Hersch Lauterpracht in den 1930er Jahren mit seinem Ausruf „There shall be no violence“ geprägt hat. Diese Grundnorm sei laut Steinmeier nur zu verwirklichen, indem die Weltgemeinschaft bei unerträglichen Verbrechen – wie in Ruanda oder Srebrenica – nicht in bürokratischer Tatenlosigkeit verharre, sondern sich zum Konzept der Schutzverantwortung bekenne und humanitäre Hilfe leiste. Jedoch warnt Steinmeier gleichzeitig vor militärischem Aktionismus unter dem Deckmantel der Schutzverantwortung. Vielmehr sei zivile Krisenprävention das Mittel der Wahl; ein militärisches Eingreifen dürfe nur „der Abwehr der schwersten Fälle von massenhaften Menschenrechtsverletzungen vorbehalten bleiben.“
Bundestagswahl 2013
- Hier finden Sie die Antworten der SPD auf die Wahlprüfsteine von Genocide Alert e.V. für die Bundestagswahl 2013 bezüglich des Engagements der Fraktion für die Schutzverantwortung: Meine Stimme für Menschenrechte – Wahlprüfsteine: SPD
- Im Menschenrechtszeugnis von Genocide Alert für die Bundestagswahl 2013 erhielt die SPD eine 3-. Hier zum Ergebnis der SPD im Detail.
Partei und Partei Programme vor 2013
Das Wahlprogramm von 2009 ist in Menschenrechtsfragen sehr allgemein gehalten: „Der weltweite Einsatz für Menschenrechte ist zentraler Bestandteil unserer Politik. Menschenrechte, Solidarität und Demokratie gehören zusammen. Menschenrechtspolitik ist auch Friedenspolitik. Wir wollen die Menschenrechtsschutzsysteme der Vereinten Nationen, der EU und des Europarates weiter stärken.“ (S. 83).
Bundestagsfraktion und Abgeordnete vor 2013
In ihrem Dokument Impulse für ein sozialdemokratisches Regierungsprogramm 2013-2017 nimmt die Parlamentarische Linke der SPD explizit auf die Schutzverantwortung Bezug und betont die präventiven Aspekte des Konzeptes (siehe S.28ff).
Im November 2012 hebt die SPD-Fraktion in ihrem Antrag „Negativbilanz nach zwei Jahren im UN-Sicherheitsrat“ (Drs.17/11567), die Notwendigkeit eines Bedeutungszuwachses der Schutzverantwortung hervor. Die Debatte über die Schutzverantwortung dürfe „nicht auf ein militärisches Eingreifen reduziert werden, da dieses lediglich als letztes Mittel und nach Versagen anderer, nichtgewaltförmiger Maßnahmen vorgesehen“ sei. Die SPD-Fraktion betont die Bedeutung der ersten Säule der Schutzverantwortung in Form der „Responsibility to Prevent“ und fordert die Bundesregierung auf, sich „für die Etablierung und Verbesserung eines nationalen und regionalen Frühwarnsystems zur Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen“ zu engagieren. Auch müsse die Schutzverantwortung gerade gegenüber Syrien angewendet werden. Ferner wird in dem Antrag verlangt, dass sich die Bundesregierung für einen Monitoring-Mechanismus bei UN-Mandaten im Rahmen der Schutzverantwortung einsetzt, der beispielsweise eine zeitliche Begrenzung von Mandaten und klar bestimmte Berichtspflichten vorsieht. Daneben fordert die SPD-Fraktion die Bundesregierung auf, „für die Norm der internationalen Schutzverantwortung innerhalb der Europäischen Union, aber auch gegenüber Nicht-EU-Staaten zu werben, um ihr eine höhere Akzeptanz zu verleihen“.
Am 29. Februar 2012 reichte die SPD-Fraktion einen Antrag zur Schutzverantwortung im Bundestag ein. Der Antrag mit dem Titel „Die internationale Schutzverantwortung weiterentwickeln“ fordert einen stärkeren Einsatz der Bundesregierung für die Schutzverantwortung auf diplomatischem Wege und attestiert, dass die Bundesregierung mit ihrer Enthaltung bei der Libyenresolution 1973 der Norm der Schutzverantwortung nicht gerecht geworden ist. Dabei fordert die Fraktion von der Bundesregierung u.a., die Etablierung eines Frühwarnsystems für Menschenrechtsverletzungen, sowie die Orientierung der Entwicklungszusammenarbeit am Konzept der R2P.
In einem Antrag der SPD-Fraktion zu Deutschlands Rolle im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vom Februar 2011 heißt es: „das Konzept der Responsibility to Protect [sollte] nachhaltig gestützt werden, da es den Staat in die Pflicht nimmt, seine Bürgerinnen und Bürger vor schweren Menschenrechtsverletzungen und Völkermord zu schützen. Aufgabe der Vereinten Nationen, insbesondere des Sicherheitsrates, ist es, den Staat zur Übernahme seiner Verantwortung zu ermutigen und ihn darin zu unterstützen.“ Die SPD Bundestagsfraktion fordert in dem Antrag die Bundesregierung dazu auf, „auch weiterhin bei den UN-Mitgliedstaaten für das Konzept der R2P in New York zu werben und eine Diskussion über die Operationalisierung des Konzepts zu stimulieren.“ Darüber hinaus wird die Wichtigkeit von UN-Missionen betont und auf das im Juli 2009 veröffentlichte UN-Reformpapier „A New Partnership Agenda – Charting a New Horizon for UN Peacekeeping“ Bezug genommen. In dem Antrag wird auch eine größere Unterstützung von UN-Missionen durch Deutschland gefordert.
In einem Afrika-Positionspapier der Bundestagsfraktion von 2011 wird die Anerkennung der R2P, durch die Afrikanischen Union „zu den positiven Errungenschaften der AU“ gezählt.
Obwohl es in der Frage um eine deutsche Beteiligung am Libyen-Einsatz keine einheitliche Position der SPD gab, nahmen einzelne Abgeordnete in den Debatten expliziten Bezug auf die Schutzverantwortung:
- So erklärte Heidemarie Wieczorek-Zeul in einer Kurzintervention: „Es gibt das international, von der Generalversammlung der Vereinten Nationen akzeptierte Prinzip, das auf den Erfahrungen in Ruanda und dem dortigen Völkermord basiert: das Prinzip der Schutzverantwortung, Responsibility to Protect. Ich finde es eine Schande, dass sich die Bundesregierung als Mitglied des UN-Sicherheitsrates in dieser Situation enthalten hat. Gegenüber Despoten kann es bei solchen Entscheidungen keine Enthaltung geben.“
- Der ehemalige außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, zieht zudem den Schluss: „Die Vereinten Nationen müssen ein eigener Akteur werden und dürften nicht auf die NATO angewiesen bleiben, um das Konzept der „Schutzverantwortung umzusetzen.“ Nach der Libyen-Entscheidung stelle sich „insbesondere die Frage, welche Instrumente man den Vereinten Nationen an die Hand gibt, um dieser Schutzverantwortung gerecht zu werden.“ Man müsse deshalb „eine Diskussion anstoßen […] wie mit der Schutzverantwortung umgegangen wird und welchen Beitrag deutsche Außenpolitik in der Zukunft dazu leisten will.“ Weiterhin kritisiert Mützenich, dass sich die Bundesregierung zwar einerseits für eine Verschärfung der Sanktionen gegen Libyen ausspreche, andererseits jedoch ihre Soldatinnen und Soldaten aus den NATO-Verbänden im Mittelmeer zurück ziehe, die diese Sanktionen durchsetzen sollten. Ein kohärentes Bekenntnis zur Schutzverantwortung müsse auch die Durchsetzung von Sanktionen ermöglichen. Schließlich hebt Mützenich hervor, dass das vorantreiben der „Akzeptanz und die Implementierung der internationalen Schutzverantwortung auf globaler, regionaler und nationaler Ebene“ nur dann erfolgreich sein werde, „wenn es gelingt, darüber einen breiten internationalen Konsens herzustellen“. Mützenich fordert daher, dass „der Begriff der R2P […] dringend einer nachvollziehbaren Operationalisierung“ bedürfe.
Anlässlich des 60. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im Jahr 2008 stellte der damalige menschenrechtspolitische Sprecher der SPD, Christoph Strässer, fest: „Die menschenrechtliche Normensetzung ist weit vorangeschritten, die Umsetzung in die Praxis hinkt hinterher. […] Bis in die Gegenwart geschehen mit ethnischen Säuberungen und Massenvergewaltigungen unvorstellbar grausame Menschenrechtsverletzungen. Die Vereinten Nationen haben sich im Konzept ‚Responsibility to Protect‘ zu ihrer Schutzverantwortung bekannt. Diese besagt, dass für den Fall, dass ein Nationalstaat nicht willens oder in der Lage ist, seine Bevölkerung zu schützen, die internationale Gemeinschaft einschreiten kann – von präventiven Maßnahmen bis hin zu militärischer Intervention. Wenn wir die Achtung und den Schutz der Menschenrechte politisch ernst nehmen, müssen wir uns mit diesen unbequemen Fragen auseinandersetzen“. Ein gemeinsamer Antrag und späterer Beschluss von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der FDP und der SPD diesem 60. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in Dezember 2008 beinhaltete die Aufforderung an die Bundesregierung „im Rahmen der Vereinten Nationen an der Ausgestaltung des Konzepts der Schutzverantwortung von Staaten (Responsibility to Protect) mitzuwirken“ (Drucksache 16/11215).
Links zu Beiträgen zur Schutzverantwortung durch Abgeordnete der SPD/der SPD Fraktion und anderen:
- Genocide Alert, 12.09.2013: Menschenrechtszeugnis zur Bundestagswahl 2013
- Beschluss der SPD, 10.12.2015: Beschluss zur sozialdemokratischen Friedenspolitik auf dem Bundesparteitag im Dezember 2015
- Grundsatzprogramm der SPD, 19.11.2015: Das Hamburger Programm
- Steinmeier, 2013: „There shall be no violence“, in: Bäuerle/Dann/Wallrabenstein, Demokratie-Prinzipien, 729
- SPD Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2009: Sozial und demokratisch
- Antrag der SPD Bundestagsfraktion, 20.11.2012: Negativbilanz nach zwei Jahren im UN-Sicherheitsrat
- Antrag der SPD Bundestagsfraktion, 29.02.2012: „Die internationale Schutzverantwortung weiterentwickeln“
- Antrag der SPD Bundestagsfraktion, Februar 2011: Antrag der SPD-Fraktion zu Deutschlands Rolle im Sicherheitsrat
- Positionspapier der Bundestagsfraktion, Juni 2011: Afrika als Partner
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