Politische Karte der Ukraine mit Flagge hinterlegt | Quelle: publicdomainvectors.org

Stellungnahme von Genocide Alert zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine

Der Krieg ist zurückgekehrt nach Europa. Nach den bewaffneten Auseinandersetzungen und Massenverbrechen auf dem Balkan in den 1990er Jahren führt die Russische Föderation seit wenigen Tagen einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Dieser verstößt fundamental gegen das Völkerrecht und die ihm zugrundeliegenden Werte der Souveränität und territorialen Integrität sowie das Gewaltverbot der UN-Charta. Genocide Alert verurteilt diesen Angriff auf das Schärfste und warnt vor Massenverbrechen im Kontext dieses Krieges. Der Straftatbestand eines angeblichen Völkermordes im Donbas ist nicht erfüllt – der des Verbrechens der Aggression dagegen schon. Dass diese Aggression von der russischen Führung, nicht von der russischen Bevölkerung ausgeht, darf dabei nicht aus dem Blick verloren werden. 

Der Angriffskrieg gegen die Ukraine verkörpert all das, was die internationale Gemeinschaft mit dem Briand-Kellogg-Pakt (1928), dem Internationalen Militärtribunal von Nürnberg (1945), der UN-Charta (1949) und nicht zuletzt auch dem Römischen Statut für den Internationalen Strafgerichtshof (2002) zu beenden versucht hat. Es steht zu befürchten, dass es im Kontext dieses Krieges zu Massenverbrechen kommen wird. Anlass hierzu gibt die Rhetorik des russischen Präsidenten Wladimir Putin, der behauptet, Russinnen und Russen in der Ukraine vor einem behaupteten Völkermord durch eine angeblich aus “Drogensüchtigen” und “Nazis” bestehende Regierung “schützen” zu wollen. Dieser unverhohlene ethnische Nationalismus, gepaart mit der Leugnung der souveränen Staatlichkeit der Ukraine, bereitet gezielt den Grund für eine militärische Gewaltanwendung jenseits jeglicher Verhältnismäßigkeitskategorien. Die Erfahrungen mit der Skrupellosigkeit der russischen Streitkräfte in Tschetschenien und Syrien sorgen für tiefe Besorgnis bei Genocide Alert. Diese Sorge gilt vor allem der Zivilbevölkerung. Die Pflicht, im bewaffneten Konflikt zwischen zivilen und militärischen Zielen zu unterscheiden, ist ein Grundpfeiler des humanitären Völkerrechts. Die unzugängliche Faktenlage lässt eine abschließende Beurteilung zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu, doch eine reale Gefahr von exzessiven Kriegsverbrechen besteht, wie bereits jetzt russische Raketenangriffe auf Wohnhäuser oder der Einsatz von unterschiedslos tötender Streumunition zeigen. 

Genocide Alert verurteilt den russischen Verweis auf einen angeblich stattfindenden Völkermord im Donbas als Rechtfertigung des Angriffskrieges. Auch wenn es in der Vergangenheit einzelne Berichte über Fälle von Diskriminierungen gegenüber Russischsprachigen in der Ukraine gab, entbehrt die Behauptung eines Genozides jeder faktischen Grundlage. Sie repräsentiert vielmehr eine zynische Perversion zentraler Argumente im Einsatz gegen Massenverbrechen. Ohne explizit auf die Schutzverantwortung (Responsibility to Protect, R2P) Bezug zu nehmen, bemächtigt sich die russische Führung doch ihrer Logik, die alle Staaten dazu verpflichtet, Bevölkerungen vor Massenverbrechen zu schützen. Diese Logik pervertiert die russische Föderation, indem sie die Schutzverantwortung in das Korsett des ethnischen Nationalismus zwängt und zur Rechtfertigung des “Schutzes” von ethnischen Russinnen und Russen im Ausland missbraucht. Die Schutzverantwortung gerät zu einer Art militärischem Schutzrecht mit Herrschaftsanspruch, das trotz fehlender Bedrohung und Schutzbedürftigkeit ausgeübt wird. Der Schein von Moralität, den diese Argumentation dem Angriffskrieg verleihen soll, ist nicht mehr als das, ein Schein – und das muss klar benannt werden. 

Genocide Alert weist außerdem darauf hin, dass die Ukraine ein multiethnischer Staat ist, in dem nicht nur eine ukrainische Mehrheitsbevölkerung und eine große russische Minderheit leben, sondern auch zahlreiche weitere ethnische und nationale Minderheiten wie die polnische, rumänische, ungarische oder die belarussische. Genocide Alert fordert deswegen alle Beteiligten auf, die Rechte dieser Minderheiten zu achten und die Ukraine als multiethnischen Staat zu bewahren.  

Mit der Behauptung, die Ukraine werde von “Nazis” geführt, versucht die russische Führung, sich in die Tradition der Kämpferinnen und Kämpfer gegen den Nationalsozialismus zu stellen und aus einer scheinbaren Nähe zum Großen Vaterländischen Krieg der Sowjetunion gegen Hitlerdeutschland Legitimität und Mobilisierung für ihren Angriffskrieg zu gewinnen. Besonders aus einer deutschen Perspektive muss dieser Missbrauch des antifaschistischen Erbes der Völker der Sowjetunion scharf zurückgewiesen und als solcher benannt werden. 

Der Angriff auf die Ukraine ist ein Krieg der russischen Führung. Zahllose Russinnen und Russen haben sich gegen diesen Krieg ausgesprochen, im Ausland wie auch bei mutigen Protesten in Russland selbst, unter Gefährdung ihrer persönlichen Freiheit und körperlichen Unversehrtheit. Genocide Alert fordert alle Beteiligten dazu auf, sich diese Unterscheidung bewusst zu machen und ihr im Laufe dieses Konfliktes bewusst zu bleiben. Unsere Solidarität gilt den Menschen vor Ort, die nun unter der Gewalt leiden und allen Menschen in Russland und Ukraine, die sich für Frieden, Völkerverständigung und gegen diesen nicht zu rechtfertigenden Akt der Gewalt einsetzen. 

Die Prävention von Massenverbrechen gehört in den Koalitionsvertrag

Eine neue Regierungskoalition in Berlin bietet die Chance, bisheriges außenpolitisches Handeln zu überdenken. Allzu oft hat Deutschland angesichts von Massenverbrechen nur langsam reagiert, statt diese frühzeitig zu verhindern bzw. kritische Situationen mit einem hohen Risiko für das Auftreten von Massenverbrechen aktiv zu entschärfen. Im Ergebnis der Sondierungsgespräche von SPD, Grünen und FDP heben sie hervor, dass sich Deutschland seiner globalen Verantwortung stellt und dass sie die Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik wertebasiert aufstellen wollen. Wir nehmen diese Ankündigung beim Wort und wenden uns mit konkreten Vorschlägen an die zukünftige Koalition. 

Prävention von Massenverbrechen ist deutsche Staatsraison 

Vor 72 Jahren wurde die UN-Völkermordkonvention beschlossen. Dennoch kommt es bis heute immer wieder zu Völkermorden und anderen Massenverbrechen. Der Versuch des sogenannten Islamischen Staates, die Jesid*innen im Irak auszulöschen, die Ermordung und Vertreibung der Rohingya durch das Militär in Myanmar und die Unterdrückung und Ausbeutung der muslimischen Minderheit der Uighur*innen in China sind nur die jüngsten Beispiele für solch systematische identitätsbasierte Gewalt. In vielen Konflikten kam es in den letzten Jahren zu schweren Kriegsverbrechen, wie aktuell etwa in Äthiopien. Autoritäre Regime und extremistische Ideologien weltweit schrecken in ihrer Repression Andersdenkender nicht zurück vor schweren Menschenrechtsverletzungen oder gar Verbrechen gegen die Menschlichkeit.  

Das Verhindern von Massenverbrechen, d.h. von Völkermorden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und systematischen Kriegsverbrechen, bleibt eine moralische und historische Verantwortung Deutschlands. Auch im Hinblick auf die katastrophalen wirtschafts- und sicherheitspolitischen Auswirkungen ist die Prävention solcher Verbrechen im Interesse der Bundesrepublik. Dies hat die Bundesregierung im Juni 2017 mit den Leitlinien zur Krisenprävention bekräftigt: “das Verhindern von Völkermord und schweren Menschenrechtsverletzungen und das Eintreten für bedrohte Minderheiten sowie für die Opfer von Unterdrückung und Verfolgung gehören zur deutschen Staatsraison.” 

Integration der Prävention von Massenverbrechen in eine nationale Sicherheitsstrategie 

Es gilt nun, dies auch praktisch umzusetzen. Im Sondierungsergebnis kündigen SPD, Grüne und FDP an, eine nationale Sicherheitsstrategie vorzulegen. Diese muss die Prävention von Massenverbrechen klar miteinschließen. Denn um solche Gräueltaten effektiver zu verhindern, ist eine außenpolitische Schwerpunktsetzung, klare Positionierung und langfristige Konzeptentwicklung notwendig. Bislang findet sich in der deutschen Außenpolitik ein blinder Fleck bei der frühzeitigen Erkennung und der gezielten Prävention von Massenverbrechen.  

Die Bundesrepublik muss ihr Bekenntnis zur internationalen Schutzverantwortung, zur Völkerstrafgerichtsbarkeit sowie zur Arbeit des internationalen Strafgerichtshofs bekräftigen. Dies sollte im Koalitionsvertrag mit Hinweis auf folgende konkrete Schritte untermauert werden: 

  • Die nächste Bundesregierung sollte prüfen, über welche Kapazitäten die Bundesrepublik für die Prävention von Massenverbrechen verfügt, vor welchen Herausforderungen sie steht und wie das Risiko für solche Verbrechen künftig früher erkannt und schneller gehandelt werden kann. Genocide Alert hat hierzu wiederholt Vorschläge unterbreitet und bereits 2012 zusammen mit Human Rights Watch Germany und der Gesellschaft für bedrohte Völker vorgeschlagen, einen Bestandsbericht zur Prävention von Massenverbrechen zu erarbeiten. 
  • Auf dieser Grundlage muss die neue Bundesregierung eine systematische Strategie zur Prävention von Massenverbrechen entwickeln und auch umsetzen. Diese muss ressortübergreifend ausgerichtet sein und muss neben AA und dem BMZ auch das BMVg, BMWi, BMI, BMF und BMJV sowie das Kanzleramt einbeziehen. Innerhalb der bestehenden Strukturen muss eine sogenannte Atrocity Prevention Lens integriert werden. 
  • Es gilt anzuerkennen, dass (zivile) Krisenprävention und Prävention von Massenverbrechen mit einander zusammen hängen. Letztere sind jedoch als eigenständige Formen politischer Gewalt zu begreifen, die in ihren unterschiedlichen Ausprägungen spezifisch analysiert und adressiert werden müssen. Um frühzeitiger präventiv aktiv werden zu können, müssen sich die Ressorts intensiver austauschen über Informationen zu Risikoindikatoren für Massenverbrechen, die etwa der Frühwarn-Analyserahmen des UN-Büros für Völkermordprävention und R2P benennt.  
  • Es muss auch analysiert werden, an welchen Stellen Fachexpertise zur Prävention von Massenverbrechen fehlt. Diese sollte gezielt durch Fortbildungen und Neueinstellungen ausgebaut werden.  

Der Bundestag-Unterausschuss “Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln” hat sich dieser Themen bislang einmal angenommen, am 14. Januar 2019, in einem öffentlichen Fachgespräch zur Prävention von Massenverbrechen angenommen. Damals diskutierten die Abgeordneten mit dem UN-Untergeneralsekretär Adama Dieng, damals Sonderberater des UN-Generalsekretärs für die Prävention von Völkermord, sowie dem Geschäftsführer von Genocide Alert, Jens Stappenbeck. In der neuen Legislaturperiode gilt es daran anzuknüpfen. 

Prävention von Massenverbrechen als feste Größe deutscher Außenpolitik verankern 

Das frühzeitige Verhindern von Massenverbrechen ist kein politisches Randthema. Massenverbrechen führen jedes Jahr zu massivem Leid und immensen Fluchtbewegungen. Wir hoffen auf den Einsatz der neuen Regierungskoalition dafür, dass die Prävention dieser schwersten Menschenrechtsverletzungen nicht nur konzeptionell als Teil der deutschen Staatsräson verstanden, sondern auch praktisch in der Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit umgesetzt wird.  

Die Koalitionsverhandlungen bieten die Möglichkeit, hier wichtige Weichenstellungen vorzunehmen. Wir fordern alle Verhandelnden mit Nachdruck auf: Nutzen Sie diese Chance.  


Eine detailliertere Diskussion unserer Vorschläge ist hier zu finden:  

Remembering the Holocaust: Germany’s approach has to change

Today is International Holocaust Remembrance Day. A good opportunity to take a look at the German culture of remembrance. Germany is not the poster child of Holocaust remembrance it is often made out to be. Our victim-centred approach makes us forget that there were perpetrators, too – who participated in, and enabled, the unimaginable crime of the Holocaust. Remembering is always an important part of preventing future mass atrocities. For this, remembrance needs to be future-oriented and must prioritize learning from the past. 

Heute ist der Internationale Holocaust-Gedenktag. Eine gute Gelegenheit, um einen Blick auf die deutsche Erinnerungkultur zu werfen. Deutschland wird gerne als Musterbeispiel erfolgreichen Holocaust-Gedenkens gesehen – kein berechtigter Ruf. Oft wird hier verdrängt, dass es nicht nur Opfer, sondern auch TäterInnen gab, ohne deren Beteiligung das unvorstellbare Verbrechen des Holocausts nie möglich gewesen wäre. Erinnerung its immer auch ein wichtiger Bestandteil der Prävention zukünftiger Verbrechen.  Dafür muss Erinnern zukunftsorientiert sein und aus der Vergangenheit lernen wollen. Deutschlands Vergangenheit, die Erinnerung daran, und die Lehren daraus waren nie eine rein deutsche Angelegenheit. Dieser Blogpost wurde daher bewusst auf Englisch verfasst. 

The assumed “success” of Germany’s politics of remembrance appears questionable

Today is International Holocaust Remembrance Day. Why today? On 27 January 1945, Auschwitz-Birkenau, the Nazi’s largest extermination and concentration camp, was liberated by Soviet soldiers. Since 1996, January 27th serves as the day to remember the Holocaust in Germany, and is a crucial part of German remembrance culture.The UN General Assembly decided in 2005 to establish January 27th as International Holococaust Rememberance day, not only to uphold the memory of millions of Holocaust victims, but also to encourage states to prevent future genocides and to develop corresponding educational programs. 

From an international perspective, Germany is commonly seen as the prime example of a country successfully acknowledging and dealing with its past. And yet, despite ongoing educational and memorialization efforts, knowledge about the history of the Holocaust is declining. An increasing number of Germans, 37% according to a CNN Study from 2018, know very little to nothing about the Holocaust. The International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) points at a worrying rise of Holocaust denial and distortion, accelerated by populist political movements and the proliferation of disinformation and conspiracy myths. A German ZDF study conducted in July 2020 supports these findings: Not only do a quarter of all respondents not know what the Holocaust is, 28% are in favour of drawing a line under the Nazi past. While public critique of remembering this history are not new, they have become more frequent and less contested over the last couple of years: AfD (‘Alternative for Germany’) politicians go so far as to speak of a German ‘guilt cult’ that needs to end.  

A moment to argue for the importance of remembrance: ‘Drawing the line’ suggests that “the memory of Auschwitz, like a yoghurt, [has] an expiration date or that the past has already been sufficiently dealt with. The latter has been interpreted in a variety of ways: legal prosecution of perpetrators, reparations to victims, education. In none of these areas have German efforts been exemplary: The majority of National Socialist perpetrators was never criminally prosecuted or convicted for their crimes. There are renewed efforts to prosecute them today, but most witnesses have either passed away or are unable or unwilling to remember, and aged perpetrators are often unfit to stand trial. Institutional reforms and the dismissal of perpetrators were insufficient: To give just one example, in 2010 the publication of the book ‘Das Amt’ revealed the “high degree of personnel continuity within the Foreign Office during the Nazi regime and afterwards. Finally, with some exceptions and improvements over time, many initial reparations were the result of lengthy battles or their amounts not worth mentioning. 

In short, Germany’s dealings with its Nazi past have been severely flawed. In a context of rising oblivion, a right-wing party in the German Bundestag and most Länder parliaments, increased antisemitism, and calls that relativize, distort or deny the genocide of the Jews, the assumed “success” of Germany’s politics of remembrance appears questionable. As Eli Wiesel (1990) said in his work on memory, “I fear forgetfulness as much as hatred and death.”  

Now what? There’s a lot that can be done to improve Germany’s remembrance efforts and to address its current blind spots. Here are some ideas of what that might look like: 

1. Need to recognize complexity and multiple narratives

Memory, remembrance, and commemoration are all highly selective endeavours: Individual eyewitness accounts in particular are highly valuable, and yet by nature selective accounts of what happened. Bearing this in mind, remembrance efforts must aim to include multiple voices. 

This is not to say that ‘anything goes’. There are lines that must never be crossed: Denying, relativizing, trivializing, or distorting the history of the Holocaust or even parts of it is without doubt one of them. Germany’s current presidency of the IHRA in 2021 has thus made combating Holocaust distortion a priority. The challenge is to find a balance: to avoid accepting all narratives unquestioningly, but also to avoid a single narrative.  

To give an example, the need to address complexity and nuance applies to victim groups who have rightly been an important focus of memorial work in Germany and beyond: Not all victims of the Nazi regime and its collaborators have been remembered equally or at the same time. This is where the concept of intersectionality and multiple, overlapping identities comes in: Someone can be Jewish, a socialist, and homosexual all at once. Memorials tend to separate victims along individual identity markers though – markers that were used by the Nazis for categorization. For example, in Berlin there are separate memorials for the murdered Jews, the homosexuals and the communists targeted by the National Socialists. However, as Christiane Wilke, Associate Professor in Law at the University of Carleton, puts it (2013): “[V]iolence and persecution are complex, and so are the people who have been targeted”. We need to recognize that some people are persecuted along several axes. For example, Jewish communists have been found to have suffered some of the worst fates in Nazi Germany. Memorials need to take this intersectionality into account, rather than making artificial distinctions that deny the possibility of complex identities. A positive sign in this regard: In October 2020 the Bundestag agreed to construct a memorial site for all victims of Nazism, including civil victims in Eastern Europe.  

The Holocaust’s complexity must be emphasized in both remembrance and education efforts. Nuanced understandings of the past are a uniquely effective way to challenge narratives that deny, relativize, or distort what happened. Without knowing enough about the complexities of the past, how can we reveal the flaws in the arguments of those trying to question it today?

2. Towards a perpetrator-oriented confrontation with the past

In a national survey conducted in 2017 and 2018 in Germany, half of the respondents said that their ancestors had been victims of the Nazi regime while only 18% admitted that their ancestors were Nazis– a historically questionable figure, given that the NSDAP received 44% of German votes in 1933. What does this mean for remembrance? It shows that there is a distorted view on German victimhood versus perpetration and that we must include perpetrators in our accounts of the past. To be very clear, remembrance does not mean glorification, and the commemoration of the victims of genocides must continue to take precedence – but remembering how ‘normal’ people could become perpetrators must not be forgotten either. It is not about legitimizing or excusing their actions, but about explaining how the Holocaust came to be. The Holocaust did not just ‘happen’, nor was it brought about by abstract entities – people committed it, as the International Military Tribunal of Nuremberg rightly put it. It was not inevitable, either. Willing participation and support for a totalitarian regime, institutionalized anti-Semitism, and the systematic persecution of Jews and other victim groups necessitated popular participation, or at least tacit acceptance.  

The aim here is to improve prevention efforts: The lack of information on perpetrators in museums or at memorial sites allows for the perpetuation of myths, such as the depiction of all National Socialists as inherently evil psychopaths. However, such myths do not help to avoid such evils in the future. Browning’s 1992 book on ‘Ordinary men’ clearly debunks the myth that all National Socialists were inherently violent and sadistic people. He argues that the majority of them were ‘ordinary men’ and women. Therefore, it is essential to understand how such people could become complicit in a crime as unimaginable as the Holocaust: both as ‘active’ perpetrators and as ‘bystanders’. Clearly, there is a fine line to be drawn when it comes to portraying perpetrators: On the one hand, one must avoid demonizing them and portraying them as psychopaths whose acts are of course per se incomprehensible and abnormal. This is to remind us that ordinary citizens did this, that there’s no guarantee of non-recurrence  and that we should be wary of a sense of complacency. On the other hand, one must be careful not to create misplaced empathy for perpetrators or fuel  sympathy for their actions, as nothing could ever excuse or legitimize their crimes.  

3. Need for personal reflection and future-oriented remembrance

Finally, memorials and historical sites should be places of (personal) reflection and active learning in addition to remembrance. Reflecting on consequences and implications for the present and future helps advance the prevention agenda. German Foreign Minister Maas (2019) convincingly argues that “young people shouldn’t leave memorials with their heads bowed, but with their heads full of new things they learned.” For instance, the House of the Wannsee Conference not only provides information about the Holocaust and its origins. Amongst other things, it educates civil servants about the dangers of becoming an indirect perpetrator by demonstrating how their predecessors during the Nazi era contributed to Nazi crimes. Such memorials link the past to the present and the future and encourage visitors to become active and help prevent such evils from recurring. Primo Levi’s (1986) well-known quote comes to mind: “It happened, therefore it can happen again.” Holocaust memorials should point to current developments, such as the rise of anti-Semitism, and show ways for visitors to get involved in combating such developments. A promising example is ‘Jugend erinnert’ (Young people remember), a federal program initiated in 2019 that aims to facilitate young people’s critical engagement with Germany’s Nazi history.

Where to go from here? 

Germany’s role as the country the Holocaust originated in is unique, and its memorialization and remembrance efforts should be as well. What happened in the 1930s and 40s is a complex story about the harmfulness of extremist ideologies, the fragility of democratic institutions and civil responsibilities and the industrialization of mass murder. Such lessons remain as relevant today as they were then. Days like today remind us to learn from them. Rather than ‘drawing the line’, it is time to improve remembrance efforts so that the passing of the last eyewitnesses of the Holocaust does not go hand in hand with a significant loss of memory. Germany’s remembrance efforts should make room for complexity and intersectionality, without thereby relativizing what happened. Today’s Holocaust Remembrance Day is about remembrance but it is also about prevention. In order to prevent what happened from recurring, an unabashed, extensive, and critical commemorative culture is needed.   

Author: Noémi Blome

Jahresbericht 2019 veröffentlicht

Mit pandemiebedingter Verspätung veröffentlichen wir den Genocide Alert Jahresbericht 2019.

Das Jahr 2019 begann für uns mit einem Erfolg in unseren langen Bemühungen um ein  stärkeres Engagement deutscher Parlamentarierinnen und Parlamentariern für die Prävention von Massenverbrechen: Der Bundestags-Unterausschuss „Zivile Krisen­prävention, Konfliktbearbeitung und integriertes Handeln“ hielt im Januar 2019 seine erste Sitzung ab, die speziell der Prävention von Massenverbrechen gewidmet war. Es war sogar die erste Sitzung überhaupt zu diesem Thema in einem Ausschuss des Bundestages. Dabei trat unser Geschäftsführer Jens Stappenbeck, neben Adama Dieng, dem Sonderberater des UN-Generalsekretärs für die Verhütung von Völkermord, als Experte auf und diskutierte mit den Abgeordneten. Das war ein großer Erfolg für unsere Arbeit auf den wir stolz sein können.

Unsere Expert*innen-Einschätzungen waren zudem bei Konferenzen, Fachgesprächen, Diskussionsveranstaltungen und Fortbildungen gefragt. Doch auch wir haben selbst den Rat von Experten gesucht: Im Rahmen unseres Projekts zur Rolle der Entwicklungszusammenarbeit bei der Prävention von Massenverbrechen haben wir verschiedene Interviews geführt und auf unserer Homepage veröffentlicht.

Auch unsere internationale Vernetzung konnten wir 2019 weiter ausbauen. Insbesondere unsere Zusammenarbeit mit dem Auschwitz Institute for Peace and Reconciliation und der britischen NGO Protection Approaches haben wir ausgebaut.

Alles in allem blicken wir somit auf ein erfolgreiches Jahr 2019 zurück! Das war alles nur dank der Unterstützung aller Mitglieder von Genocide Alert möglich. Im Namen des Vorstandes von Genocide Alert danke Ich allen für ihre Unterstützung und für die Zeit, die sie ehrenamtlich in unsere Arbeit für eine Welt ohne Völkermord investieren!

Weiteres zu unserer Arbeit im Jahr 2019 ist in unserem Jahresbericht zu finden, der hier heruntergeladen werden kann: » Genocide Alert Jahresbericht 2019 (pdf)

Open Letter of Concern to Governments on Crimes Against Humanity and Genocide Against Uyghurs in China

We, the undersigned human rights and genocide prevention organizations, and individual practitioners, are deeply concerned over mounting evidence that Chinese government policies targeting Uyghurs and other Turkic Muslim-majority peoples in the Xinjiang Uyghur Autonomous Region of China strongly suggests that crimes against humanity and genocide are taking place.

The international community has the responsibility to respond to these crimes and protect Uyghurs and other Turkic peoples through diplomatic, humanitarian and other peaceful means. The atrocities being perpetrated are no less egregious if they are found to constitute one international crime or another.

Under the guise of curbing religious and political extremism, the Chinese government has intensified widespread and systematic policies to repress Uyghurs and other Turkic peoples on the basis of their religious and ethnic identities. The atrocities include arbitrary detention of between 1 and 1.8 million people in internment camps, a widespread program of political indoctrination, enforced disappearances, destruction of cultural sites, forced labour, disproportionate rates of prison incarceration, and coercive birth prevention campaigns and policies.

UN human rights experts have raised serious concerns about “increasing practices of arbitrary detention, enforced disappearance, absence of judicial oversight and procedural safeguards within an increasingly securitized environment, particularly for designated minorities, notably Uyghurs” and that “these centers, due to their coercive character, amount to detention centers.”

Observers have referred to “a notable trend of enforced disappearances of Uyghurs,” the widespread destruction of Uyghur mosques, graveyards and other cultural sites, and the subjection of at least 80,000 Uyghurs to conditions that strongly indicate forced labour since 2017.

Most recently, reports have documented Chinese government policies intending to reduce birth rates among Uyghurs including involuntary abortions and sterilizations. In 2018, 80 percent of all IUD placements in China were performed on women in the Uyghur Region, despite the region making up only about 1.8 percent of China’s total population. The forced separation of an unknown number of Uyghur children from their parents has also been documented by human rights groups since 2018.

These measures meet the threshold of acts constitutive of genocide, core international crimes under the Genocide Convention, which prohibits “imposing measures intended to prevent births” among an ethnic or religious group. We also believe that the Chinese government may be perpetrating the following acts prohibited under the Genocide Convention: causing serious bodily or mental harm to members of the group, deliberately inflicting on the group conditions of life calculated to bring about its physical destruction in whole or in part, and forcibly transferring children of the group to another group.

These measures are also consistent with crimes against humanity, an international crime under the Rome Statute, including the persecution against an identifiable group on racial, ethnic, and religious grounds, forced population transfers, enforced disappearances, and deprivation of liberty in violation of international law

Signatories of this letter urge states to:

  1. Convene a special session at the UN Human Rights Council to appoint a Commission of Inquiry to investigate human rights violations taking place in the Uyghur Region and develop strategies to end these violations.
  2. Implement commitments on atrocity and genocide prevention through bilateral and multilateral diplomacy efforts.
  3. Independently investigate and make appropriate legal determinations regarding the treatment of Uyghurs and other Turkic Muslim-majority peoples in China.It is our collective responsibility to protect populations from mass atrocities, including crimes against humanity and genocide. We must act now to prevent further atrocities against this long-persecuted group.

Yours sincerely,

Aegis Trust
Asia-Pacific Centre for the Responsibility to Protect
Atrocity Forecasting Project
Coalition for Genocide Response
Cohen Center for Holocaust and Genocide Studies, Keene State College
European Centre for the Responsibility to Protect
Genocide Alert
Genocide Watch
Global Centre for the Responsibility to Protect
Holocaust Memorial Day Trust
Institute for the Study of Genocide
Institute for Genocide and Mass Atrocity Prevention (I-GMAP), Binghamton University
Jacob Blaustein Institute for the Advancement of Human Rights
The Jo Cox Foundation
Montreal Institute for Genocide and Human Rights Studies
Raoul Wallenberg Centre for Human Rights
Remembering Srebrenica
René Cassin, the Jewish voice for human rights
Society for Threatened Peoples
Protection Approaches
Uyghur Human Rights Project
Waging Peace
World Without Genocide
Mehnaz M. Afridi, Director, Holocaust, Genocide, and Interfaith Education Center, Manhattan College
Daniel Feierstein, Director, Center for Studies on Genocide, National University of Tres de Febrero
Jocelyn Getgen, Director, Benjamin B. Ferencz Human Rights and Atrocity Prevention Clinic
Elisa von Joeden-Forgey, Associate Professor, Department of Holocaust and Genocide Studies, Keene State College
Zachary D. Kaufman, Associate Professor of Law and Political Science, University of Houston Law Center
Peter McBride, Director, The Cohen Center for Holocaust and Genocide Studies, Keene State College
Christoph Meyer, Professor of European & International Politics, King’s College London
Maxim A. Pensky, Co-Director, Institute for Genocide and Mass Atrocity Prevention, Binghamton University
Nadia M. Rubaii, Co-Director, Institute for Genocide and Mass Atrocity Prevention, Binghamton University
David Simon, Director, Yale Genocide Studies Program Karen E. Smith, Professor of International Relations, London School of Economics and Political Science
Gregory Stanton, President, Genocide Watch
John Sturtz, Associate Professor, Education & Holocaust and Genocide Studies, Keene State College
Ernesto Verdeja, Kroc Institute for International Peace Studies, University of Notre Dame
James E. Waller, Cohen Professor of Holocaust & Genocide Studies, Keene State College
Andrew Woolford, Former President, International Association of Genocide Scholars

Header - Gemeinsame NGO-Erklärung: Humanitäre und sicherheitspolitische Auswirkungen der COVID-19-Krise im Nordirak

Gemeinsame NGO-Erklärung: Humanitäre und sicherheitspolitische Auswirkungen der COVID-19-Krise im Nordirak

Entwicklungszusammenarbeit und strukturelle Prävention von Massenverbrechen – ein Debattenprojekt

In Deutschland hat das Prinzip der Schutzverantwortung immer wieder öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen, insbesondere durch die humanitäre Intervention von Frankreich, Großbritannien, den USA und ihren Verbündeten in Libyen im Jahr 2011. Viel zu oft steht jedoch die Frage der internationalen Reaktion auf Massenverbrechen mit Hilfe militärischer Gewalt im Mittelpunkt der Diskussion. Die frühzeitige Prävention von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und anderer schwerer Gräueltaten durch proaktives, ziviles Handeln, die im Mittelpunkt der Diskussion stehen sollten, wird dagegen oft vernachlässigt.

Die Prävention der schwerwiegendsten Gräueltaten darf sich nicht nur auf bewaffnete Konflikte konzentrieren. Um Gräueltaten vorzubeugen, ist es wichtig, zugrundeliegende Konfliktursachen anzugehen. In diesem Zusammenhang spielt die Entwicklungszusammenarbeit zur Stärkung der lokalen Widerstandsfähigkeit und der niedrigschwelligen Präventionskapazitäten eine zentrale Rolle.

Über alle Politikfelder hinweg gilt es eine sogennante atrocity prevention lens einzurichten, gewissermaßen einen Filter, der über die bisher etablierten diplomatischen, entwicklungsunterstützenden, humanitären und auch militärischen Instrumente der Konfliktprävention und -bearbeitung gelegt wird, um Risiken und Anzeichen für mögliche Massenverbrechen bereits bei der politischen Planung zu berücksichtigen.

Debatte anstoßen, wie mit Instrumenten der Entwicklungszusammenarbeit zur strukturellen Prävention von Massenverbrechen beigetragen werden kann

In Deutschland wird jedoch meist nur auf das Auswärtige Amt verwiesen, wenn die Prävention von Massenverbrechen Thema ist. Die internationale Debatte über die Prävention von Gräueltaten wird in Deutschland kaum rezipiert. Dies liegt unter anderem daran, diese internationale Debatte eng mit dem Prinzip der Schutzverantwortung verbunden ist, dem viele aufgrund der Nähe zur Debatte über humanitäre militärische Interventionen skeptisch gegenüberstehen. Eine Debatte über zivile Möglichkeiten zur Prävention von Massenverbrechen ist aber dringend notwendig. Nicht zuletzt auch, um die Erklärung der Bundesregierung in ihren Leitlinien zur Krisenprävention, dass die Prävention von Völkermord und schwersten Menschenrechtsverletzungen Teil der deutschen Staatsräson sei, Wirklichkeit werden zu lassen.

Wie kann mit Instrumenten der Entwicklungszusammenarbeit zur strukturellen Prävention von Massenverbrechen beigetragen werden? Wir haben Expertinnen und Experten in diesem Bereich befragt, um mehr darüber zu erfahren, wie Prävention von Gräueltaten in Programmen der Ent­wicklungs­­zusammen­arbeit gestärkt werden kann. Die Interviews wurden 2019 geführt und werden in den kommenden Wochen in loser Reihenfolge auf unserer Website veröffentlicht.


» Projektseite Prävention von Massenverbrechen und Entwicklungszusammenarbeit


Parlamentarisches Frühstück „Prävention von Massenverbrechen – lessons learned from Myanmar?“

Am 15. Januar 2019 fand auf Einladung von Margarete Bause, Sprecherin für Menschenrechte von Bündnis 90/ Die Grünen im Bundestag, sowie Frank Schwabe, Menschenrechtspolitischer Sprecher der SPD im Bundestag, ein parlamentarisches Frühstück statt. Dort hat unser Vorsitzender Gregor Hofmann gemeinsam mit Adama Dieng, dem UN Sonderberater für die Prävention von Völkermord und Alexey Yusupov, Leiter der Friedrich Ebert Stiftung in Myanmar, die Bedeutung der Prävention von Massenverbrechen am Beispiel von Myanmar mit Abgeordneten, deren Mitarbeitenden und Außenpolitikexpertinnen und -experten diskutiert.

Säuberungsaktionen in Rakhine State ab 2017

Polizei und Militär in Myanmar haben ab Ende August 2017 in sogenannten Säuberungsaktionen in Rakhine State in Reaktion auf Angriffe der Arakan Rohingya Salvation Army auf Polizeistationen Massenverbrechen gegen die muslimische Minderheit der Rohingya begangen. Es kam zu Tötungen, Vergewaltigungen und Brandschatzungen, die zur Vertreibung von über 700.000 Menschen führten. In Folge der Gewalt ist die Zahl der in Bangladesch schutzsuchenden Rohingya-Flüchtlinge auf über 900.000 Menschen angestiegen. Im August 2018 kam die Unabhängige internationale Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrates zu dem Schluss, dass bei den ethnisch-basierten Vertreibungen eine genozidäre Absicht vorlag, die auf eine Zerstörung der Rohingya-Gemeinschaft und die Veränderung der Bevölkerungszusammensetzung in Rakhine ausgerichtet gewesen sei.

Adama Dieng: die Wurzeln solcher Probleme angehen!

Beim Parlamentarischen Frühstück präsentierte Adama Dieng den Frühwarnanalyserahmen des UN Büros für Völkermordprävention und die Schutzverantwortung. Dabei betonte er, dass es wichtig sei, die Wurzeln solcher Probleme anzugehen: Diskriminierung, Hassrede und Exklusion bestimmter Bevölkerungsgruppen. Zudem sei es wichtig Gerechtigkeit für die Opfer solcher Verbrechen zu suchen. Es sei daher von zentraler Bedeutung, dass die Rohingya in Myanmar Schutz und Unterstützung durch den Staat erhielten. Auch die vielen Gemeinschaften, die Flüchtlinge aufgenommen haben, insbesondere in Bangladesch, benötigten mehr Unterstützung.

Alexey Yusupov von der Friedrich Ebert Stiftung sprach über die komplexe Gemengelage in Myanmar. Das Land habe sich in den vergangenen Jahren demokratisch geöffnet. Trotzdem bestünden große Probleme im Minderheitenschutz. Gleichzeitig gebe es mehrere bewaffnete Konflikte im Land. Viele in der Bevölkerung stellten sich angesichts internationaler Kritik hinter die Regierung und sähen das Land zu Unrecht an den Pranger gestellt. Zivilgesellschaftliche Kritik am Umgang mit den Rohingya gebe es zwar vereinzelt, sie sei jedoch kaum zu hören. Er warnte davor, dass zu harte Sanktionen gegen die Wirtschaft Myanmars großen Schaden anrichten könnten, was letztendlich wieder das Militär gegenüber der zivilen Regierung unter der Führung von Staatsrätin Aung San Suu Kyi stärken könnte.

Genocide Alert: internationale Gemeinschaft hat in Myanmar versagt!

Gregor Hofmann betonte in seinem Beitrag, dass die internationale Gemeinschaft darin versagt habe, die Verantwortlichen für die Gräueltaten gegen die Rohingya zur Rechenschaft zu ziehen. Die zivile Regierung Myanmars unter der Führung von Staatsrätin Aung San Suu Kyi seit ihrer Verantwortung zum Schutz der Bevölkerung nicht nur nicht nachgekommen, sondern habe die Geschehnisse geleugnet. Das habe das Militär ermutigt, seine Kampagne in Rakhine immer weiter fortzusetzen. Sanktionen seien zu spät verhängt worden, um Wirkung zu zeigen. Mit Blick auf Deutschland zeige der Fall Myanmar daher aufs Neue, dass ein spezifischer Ansatz zur Prävention von Massenverbrechen fehle. Zivile Krisenprävention – im Sinne von Peacebuilding und langfristiger Entwicklungszusammenarbeut – werde in Deutschland oft in Abgrenzung zur Debatte über die Responsibility to Protect diskutiert, da diese immer noch oft als vermeintlicher Ausdruck einer militärischen Interventionspolitik gesehen werde. Das habe dazu geführt, dass die Frage, was „Prävention von Massenverbrechen“ bedeute, in Deutschland kaum diskutiert werde.

Dass es eines Tages zu massiver Gewalt gegen die Rohingya kommen könnte, sei angesichts umfassender Diskriminierung und Ausgrenzung bereits seit langem absehbar gewesen. International sei jedoch nur verhalten reagiert worden, um die sich ab 2010 abzeichnende demokratische Öffnung Myanmars nicht zu schädigen. Die Gefahren für die Rohingya seien aus dem Blick geraten. Deutschland alleine hätte die Geschehnisse ab August 2017 zwar nicht verhindern können. Würde die Prävention von Massenverbrechen aber konsistent und ressortübergreifend bei der außenpolitischen Prioritätensetzung berücksichtigt hätte die Gefahr früher berücksichtigt werden können, betonte Gregor Hofmann.

Fachgespräch im Bundestag zur Prävention von Massenverbrechen

Der Bundestag-Unterausschuss “Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln” hat am 14. Januar 2019 erstmals eine Sitzung über die Prävention von Massenverbrechen und Möglichkeiten für den Ausbau von Frühwarnmechanismen und Kohärenz in Deutschland abgehalten. Zu diesem Fachgespräch war unter anderem UN-Untergeneralsekretär Adama Dieng eingeladen. Er ist der Sonderberater des UN Generalsekretärs für die Prävention von Völkermord. Darüber hinaus wurde Jens Stappenbeck, Geschäftsführer von Genocide Alert, als Sachverständiger vom Bundestag befragt.

Adama Dieng: Anstieg von Massenverbrechen muss Deutschland interessieren!

Adama Dieng wies darauf hin dass die Welt unter anderem in Myanmar, Nigeria, Südsudan und Syrien einen besorgniserregenden Anstieg von Massenverbrechen beobachte. Das müsse Deutschland und den Rest der Welt interessieren. Risikosituationen müssten früher erkannt werden und frühzeitig präventiv gehandelt werden, Hierbei müssten die Staaten auch international zusammenarbeiten. Wenn Krisen eskalierten, ethnische Gruppen attackiert werden, oder sich gar ein Völkermord abzeichne, dann müsse der betroffene Staat selbst handeln bzw. von der Staatengemeinschaft zum Handeln gedrängt werden. Versage er drin müsse gegebenenfalls die internationale Gemeinschaft im Sinne des Konzepts der „Schutzververantwortung“ („Responsibility to Protect“) aktiv werden. Es bedürfe eines effektiven Multilateralismus, auch im UN-Sicherheitsrat, um Massenverbrechen früher zu verhindern. Dieng zeigte sich dabei jedoch besorgt darüber, dass der UN-Sicherheitsrat immer häufiger nur schwache Worte im Angesicht von Massenverbrechen finde.

Genocide Alert: Prävention früher und aktiver betreiben

Jens Stappenbeck von Genocide Alert betonte, dass Prävention früher und aktiver betrieben werden müsse. Bis heute bleibe das Verhindern von Massenverbrechen wie Völkermorden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und systematischen Kriegsverbrechen eine moralische und historische Verantwortung Deutschlands. Auch im Hinblick auf die katastrophalen wirtschafts- und sicherheitspolitischen Auswirkungen seit die Prävention solcher Verbrechen im ureigenen Interesse der Bundesrepublik. Dies habe die Bundesregierung im Juni 2017 mit den Leitlinien zur Krisenprävention bekräftigt. Dort heißt es: “das Verhindern von Völkermord und schweren Menschenrechtsverletzungen und das Eintreten für bedrohte Minderheiten sowie für die Opfer von Unterdrückung und Verfolgung gehören zur deutschen Staatsraison.” Um dies in die Tat umzusetzen, so Stappenbeck, sei eine wirkliche ressortübergreifende Zusammenarbeit und eine bessere Abstimmung der verschiedenen zuständigen Bundesministerien erforderlich. Das Bekenntnis zur Prävention von Massenverbrechen müsse in eine außenpolitische Schwerpunktsetzung und Konzeptentwicklung übersetzt werden. Die Entwicklungen in Myanmar hätten gezeigt, dass dies nicht funktioniere, obwohl viele Nichtregierungsorganisationen bereits früh vor Verbrechen gegen die muslimische Minderheit der Rohingya gewarnt hätten.

In der Diskussion mit den beiden Experten vertieften die anwesenden Abgeordneten einzelne Themenbereiche, wie die Problematik der Interessenkollisionen im UN-Sicherheitsrat, die Frage nach Instrumenten zur Prävention von Massenverbrechen und nicht zuletzt die Spannung zwischen präventivem Handeln und militärischem Eingreifen unter der sogenannten Schutzverantwortung.

Strategie zur Prävention von Massenverbrechen erforderlich

Genocide Alert begrüßt, dass der Bundestag sich zum ersten Mal tiefergehend der Prävention von Massenverbrechen gewidmet hat. Wir freuen uns, dass wir mit unserer Expertise dazu beitragen konnten und hoffen, dass auf diese offene Diskussion nun die Entwicklung einer echten Strategie zur Prävention von Massenverbrechen folgt.

Eine Aufzeichnung des öffentlichen Fachgesprächs des Unterausschusses „Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln“ des Bundestages zum Thema „Prävention von Massenverbrechen“ vom Montag, 14. Januar 2019, kann unter folgendem Link abgerufen werden: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2019/kw03-pa-zivile-krisenpraevention-585776

Wie steht es um „Nie wieder“ nach 70 Jahren Völkermordkonvention und Menschenrechtserklärung?

Siebzig Jahre nach der Verabschiedung der Völkermordkonvention und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte dürfen wir die Hoffnung auf eine Welt, in der alle Menschen in Würde und ohne Angst leben können, nicht aufgeben.

von Gregor Hofmann Weiterlesen