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Die Prävention von Massenverbrechen gehört in den Koalitionsvertrag

Eine neue Regierungskoalition in Berlin bietet die Chance, bisheriges außenpolitisches Handeln zu überdenken. Allzu oft hat Deutschland angesichts von Massenverbrechen nur langsam reagiert, statt diese frühzeitig zu verhindern bzw. kritische Situationen mit einem hohen Risiko für das Auftreten von Massenverbrechen aktiv zu entschärfen. Im Ergebnis der Sondierungsgespräche von SPD, Grünen und FDP heben sie hervor, dass sich Deutschland seiner globalen Verantwortung stellt und dass sie die Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik wertebasiert aufstellen wollen. Wir nehmen diese Ankündigung beim Wort und wenden uns mit konkreten Vorschlägen an die zukünftige Koalition. 

Prävention von Massenverbrechen ist deutsche Staatsraison 

Vor 72 Jahren wurde die UN-Völkermordkonvention beschlossen. Dennoch kommt es bis heute immer wieder zu Völkermorden und anderen Massenverbrechen. Der Versuch des sogenannten Islamischen Staates, die Jesid*innen im Irak auszulöschen, die Ermordung und Vertreibung der Rohingya durch das Militär in Myanmar und die Unterdrückung und Ausbeutung der muslimischen Minderheit der Uighur*innen in China sind nur die jüngsten Beispiele für solch systematische identitätsbasierte Gewalt. In vielen Konflikten kam es in den letzten Jahren zu schweren Kriegsverbrechen, wie aktuell etwa in Äthiopien. Autoritäre Regime und extremistische Ideologien weltweit schrecken in ihrer Repression Andersdenkender nicht zurück vor schweren Menschenrechtsverletzungen oder gar Verbrechen gegen die Menschlichkeit.  

Das Verhindern von Massenverbrechen, d.h. von Völkermorden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und systematischen Kriegsverbrechen, bleibt eine moralische und historische Verantwortung Deutschlands. Auch im Hinblick auf die katastrophalen wirtschafts- und sicherheitspolitischen Auswirkungen ist die Prävention solcher Verbrechen im Interesse der Bundesrepublik. Dies hat die Bundesregierung im Juni 2017 mit den Leitlinien zur Krisenprävention bekräftigt: “das Verhindern von Völkermord und schweren Menschenrechtsverletzungen und das Eintreten für bedrohte Minderheiten sowie für die Opfer von Unterdrückung und Verfolgung gehören zur deutschen Staatsraison.” 

Integration der Prävention von Massenverbrechen in eine nationale Sicherheitsstrategie 

Es gilt nun, dies auch praktisch umzusetzen. Im Sondierungsergebnis kündigen SPD, Grüne und FDP an, eine nationale Sicherheitsstrategie vorzulegen. Diese muss die Prävention von Massenverbrechen klar miteinschließen. Denn um solche Gräueltaten effektiver zu verhindern, ist eine außenpolitische Schwerpunktsetzung, klare Positionierung und langfristige Konzeptentwicklung notwendig. Bislang findet sich in der deutschen Außenpolitik ein blinder Fleck bei der frühzeitigen Erkennung und der gezielten Prävention von Massenverbrechen.  

Die Bundesrepublik muss ihr Bekenntnis zur internationalen Schutzverantwortung, zur Völkerstrafgerichtsbarkeit sowie zur Arbeit des internationalen Strafgerichtshofs bekräftigen. Dies sollte im Koalitionsvertrag mit Hinweis auf folgende konkrete Schritte untermauert werden: 

  • Die nächste Bundesregierung sollte prüfen, über welche Kapazitäten die Bundesrepublik für die Prävention von Massenverbrechen verfügt, vor welchen Herausforderungen sie steht und wie das Risiko für solche Verbrechen künftig früher erkannt und schneller gehandelt werden kann. Genocide Alert hat hierzu wiederholt Vorschläge unterbreitet und bereits 2012 zusammen mit Human Rights Watch Germany und der Gesellschaft für bedrohte Völker vorgeschlagen, einen Bestandsbericht zur Prävention von Massenverbrechen zu erarbeiten. 
  • Auf dieser Grundlage muss die neue Bundesregierung eine systematische Strategie zur Prävention von Massenverbrechen entwickeln und auch umsetzen. Diese muss ressortübergreifend ausgerichtet sein und muss neben AA und dem BMZ auch das BMVg, BMWi, BMI, BMF und BMJV sowie das Kanzleramt einbeziehen. Innerhalb der bestehenden Strukturen muss eine sogenannte Atrocity Prevention Lens integriert werden. 
  • Es gilt anzuerkennen, dass (zivile) Krisenprävention und Prävention von Massenverbrechen mit einander zusammen hängen. Letztere sind jedoch als eigenständige Formen politischer Gewalt zu begreifen, die in ihren unterschiedlichen Ausprägungen spezifisch analysiert und adressiert werden müssen. Um frühzeitiger präventiv aktiv werden zu können, müssen sich die Ressorts intensiver austauschen über Informationen zu Risikoindikatoren für Massenverbrechen, die etwa der Frühwarn-Analyserahmen des UN-Büros für Völkermordprävention und R2P benennt.  
  • Es muss auch analysiert werden, an welchen Stellen Fachexpertise zur Prävention von Massenverbrechen fehlt. Diese sollte gezielt durch Fortbildungen und Neueinstellungen ausgebaut werden.  

Der Bundestag-Unterausschuss “Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln” hat sich dieser Themen bislang einmal angenommen, am 14. Januar 2019, in einem öffentlichen Fachgespräch zur Prävention von Massenverbrechen angenommen. Damals diskutierten die Abgeordneten mit dem UN-Untergeneralsekretär Adama Dieng, damals Sonderberater des UN-Generalsekretärs für die Prävention von Völkermord, sowie dem Geschäftsführer von Genocide Alert, Jens Stappenbeck. In der neuen Legislaturperiode gilt es daran anzuknüpfen. 

Prävention von Massenverbrechen als feste Größe deutscher Außenpolitik verankern 

Das frühzeitige Verhindern von Massenverbrechen ist kein politisches Randthema. Massenverbrechen führen jedes Jahr zu massivem Leid und immensen Fluchtbewegungen. Wir hoffen auf den Einsatz der neuen Regierungskoalition dafür, dass die Prävention dieser schwersten Menschenrechtsverletzungen nicht nur konzeptionell als Teil der deutschen Staatsräson verstanden, sondern auch praktisch in der Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit umgesetzt wird.  

Die Koalitionsverhandlungen bieten die Möglichkeit, hier wichtige Weichenstellungen vorzunehmen. Wir fordern alle Verhandelnden mit Nachdruck auf: Nutzen Sie diese Chance.  


Eine detailliertere Diskussion unserer Vorschläge ist hier zu finden:  

Rohingya and the ICC – The Rights of the Rohingya?

The “preliminary probe” announced by the International Criminal Court (ICC) in response to the exodus of the Rohingya opens the door to further international legal inquiry into the accusations of systemic ethnic violence against the Rohingya Muslim minority. But the prosecutor for the International Criminal Court is facing serious challenges in fulfilling the raised expectations.

Article by Robert Menzies

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Logo des Internationalen Strafgerichtshofs

Ist der Internationale Strafgerichtshof unbrauchbar?

Kritiker werfen dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) vor, dieser sei als Gerichtshof unbrauchbar, um begangene Massenverbrechen gerecht und effektiv zu bestrafen und damit nicht in der Lage zur Wahrung des Weltfriedens beizutragen. Afrikanische Staaten werfen ihm Selektivität und mangelnde Glaubwürdigkeit vor, angesichts der starken Konzentration auf Geschehnisse in Afrika. Israel bezeichnet den IStGH sogar als terrorismusfördernd und fordert im Zusammenhang mit der Aufnahme von Vorermittlungen zu Massenverbrechen in Palästina zum Boykott des IStGH auf. Dabei könnten die Vorermittlungen in Israel auch als Chance gesehen werden, auf Kriegsverbrechen seitens der Hamas aufmerksam zu machen. Häufig wird bei aller Kritik jedoch das eigentliche Problem des IStGH ignoriert: die Reformbedürftigkeit des durch das Veto-System nicht selten blockierten Sicherheitsrates der UN, der damit auch die Arbeit des IStGHs beeinträchtigt. Weiterlesen

Syrien: NGOs fordern Ermittlungen durch den Internationalen Strafgerichtshof

flagen

Gemeinsam mit mehr als 100 Menschenrechtsorganisationen ruft Genocide Alert den UN Sicherheitsrat dazu auf, die Menschenrechtsvebrechen in Syrien durch den Internationalen Strafgerichtshof untersuchen zu lassen. Trotz mehr als 100.000 Opfern systematischer Gewalt gegen die Zivilbevölkerung herrscht in Syrien nach wie vor Straflosigkeit. Die internationale Gemeinschaft darf diese Situation nicht länger hinnehmen. Der UN Sicherheitsrat sollte den Internationalen Strafgerichtshof deswegen umgehend beauftragen, die Verbrechen in Syrien zu untersuchen und die Verantwortlichen anzuklagen.

 

Statement by Civil Society Organizations on Need for Justice

(New York, May 15, 2014) – Over one hundred civil society groups from around the world issued the following statement today to urge the United Nations Security Council to approve a resolution to refer the situation in Syria to the prosecutor of the International Criminal Court:

We, the undersigned civil society groups, urge United Nations Security Council members to approve a draft resolution supported by a broad coalition of countries that would refer the situation in Syria to the prosecutor of the International Criminal Court (ICC). More than three years into a conflict that has claimed well over 100, 000 lives, according to the United Nations, atrocity crimes are being committed with complete impunity by all sides in the conflict, with no end in sight.

Neither Syrian authorities nor the leaders of non-state armed groups have taken any meaningful steps to ensure accountability for past and ongoing grave human rights crimes. The failure to hold those responsible for these violations to account has only fueled further atrocities by all sides. Against this background, we believe the ICC is the forum most capable of effectively investigating and prosecuting the people who bear the greatest responsibility for serious crimes and of offering a measure of justice for victims in Syria.

The latest report from the UN’s Syria Commission of Inquiry, published on March 5, also found that all sides to the Syria conflict continued to commit serious crimes under international law and held that the Security Council was failing to take action to end the state of impunity. The commission, which has published seven in-depth reports since its establishment in August 2011, recommended that the Security Council give the ICC a mandate to investigate abuses in Syria. The need for accountability in Syria through the ICC has likewise been supported by more than
60 UN member countries, representing all regions of world, including 10 of the current members of the Security Council. We urge all Security Council members to heed this call for justice. Other countries should publicly support the draft resolution and warn Russia and China against using their veto power to obstruct accountability for violations by all sides. As a permanent international court with a mandate to prosecute war crimes and crimes against humanity when national authorities are unable or unwilling to do so, the ICC was created to address exactly the type of situation that exists in Syria today. Though the court’s work can be only one piece of the larger accountability effort needed in Syria, it is a crucial first step.

We therefore strongly urge Security Council members to urgently act to fill the accountability gap in Syria. The people of Syria cannot afford further disappointment or delay.

 

Co-signing organizations in alphabetical order:

1. Action des Chrétiens pour l’Abolition de la Torture, France
2. Amnesty International, Benin
3. Advocates for Public International Law, Uganda
4. Arabic Network for Human Rights Information, Egypt
5. Asia Pacific Centre for the Responsibility to Protect, Australia
6. Act for Peace, Australia
7. Arab Coalition for Sudan, Sudan
8. Arab Program for Human Rights Activists, Egypt
9. Arab-European Center Of Human Rights And International Law, Norway
10. Arab Foundation for Development and Citizenship, United Kingdom
11. Andalus Institute for Tolerance and anti-Violence Studies, Egypt
12. Benin Coalition for the International Criminal Court, Benin
13. Cairo Institute for Human Rights Studies, Egypt
14. Campaña Colombiana Contra Minas, Colombia
15. Center for Media Studies and Peacebuilding, Liberia
16. Child Soldiers International, United Kingdom
17. Christian Solidarity Worldwide, Belgium
18. Club des Amis du Droit du Congo, Democratic Republic of Congo
19. Coalition Ivoirienne pour la Cour Penale Internationale, Cote d’Ivoire
20. Colombian Commission of Jurists, Colombia
21. Community Empowerment for Progress Organization, South Sudan
22. Conflict Monitoring Center, Pakistan
23. Congress of National Minorities of Ukraine, Ukraine
24. Comité Catholique Contre la Faim et Pour le Développement – Terre Solidaire, France
25. Comision Mexicana de Defensa y Promocion de los Derechos Humanos, Mexico
26. CSO Network, Western Kenya
27. Dawlaty Foundation, Lebanon
28. Democracia Global, Argentina
29. East Africa Law Society, Tanzania
30. Egyptian Initiative for Personal Rights, Egypt
31. Elman Peace and Human Rights Center, Somalia
32. Euro-Mediterranean Human Rights Network
33. FN-forbundet / Danish United Nations Association, Denmark
34. Franciscans International
35. Fundación de Antropología Forense, Guatemala
36. Georgian Young Lawyers Association, Georgia
37. Genocide Alert, Germany
38. Global Solutions.org, United States
39. Global Justice Center, United States
40. Global Centre for the Responsibility to Protect, United States
41. Gulf Centre for Human Rights, Denmark
42. Horiyat for Development and Human Rights, Libya
43. Humanist Institute for Development Cooperation, The Netherlands
44. Humanitarian Law Center Kosovo, Kosovo
45. Human Rights First, United States
46. Human Rights Watch 47. International Justice Project, United States
48. International Commission of Jurists, Kenya
49. International Society for Civil Liberties & the Rule of Law, Nigeria
50. International Society for Traumatic Stress Studies, United States
51. International Federation of Action by Christians for the Abolition of Torture, France
52. International Center for Policy and Conflict, Kenya
53. Insan, Lebanon
54. Jacob Blaustein Institute for the Advancement of Human Rights, United States
55. Justice Without Frontiers, Lebanon
56. Kenya Human Rights Commission, Kenya
57. La Coalition Burundaise pour la Cour Penale Internationale, Burundi
58. Lira NGO Forum, Uganda
59. Ligue pour la Paix, les Droits de l’Homme et la Justice, Democratic Republic of Congo
60. Media Foundation for West Africa, Ghana
61. Minority Rights Group International, United Kingdom
62. National Youth Action, Inc., Liberia
63. No Peace Without Justice, Italy
64. Norwegian People’s Aid, Norway
65. Optimum Travail du Burkina, Burkina Faso
66. Open Society Justice Initiative
67. Pakistan Body Count, Pakistan
68. PAX, The Netherlands
69. Pax Christi International
70. Parliamentarians for Global Action
71. El Equipo Peruano de Antropología Forense, Peru
72. Physicians for Human Rights, United States
73. Pak Institute for Peace Studies, Pakistan
74. REDRESS, United Kingdom
75. Reporters without Borders, France
76. Rencontre africaine pour la défense des droits de l’homme (Raddho-Guinée), Guinea
77. Reseau Equitas, Cote D’Ivoire
78. Samir Kassir Foundation, Lebanon
79. Southern Africa Litigation Centre, South Africa
80. South African Institute for Advanced Constitutional, Public, Human Rights and
International Law, South Africa
81. Syrian Network for Human Rights, United Kingdom
82. Syria Justice & Accountability Center, The Netherlands
83. Syrian Nonviolence Movement, France
84. Syrian Observatory for Human Rights, United Kingdom
85. Synergie des ONGs Congolaises pour la lutte contre les Violences Sexuelles, Democratic
Republic of Congo
86. Synergie des ONGs Congolaises pour les Victimes, Democratic Republic of Congo
87. The International Federation for Human Rights, France
88. The Centre for Accountability and Rule of Law, Sierra Leone
89. The Association of Political Scientists, Greece
90. The Sentinel Project for Genocide Prevention, Canada 91. The Igarape Institute, Brazil
92. The Arab World Center for Democratic Development, Jordan
93. The United Nations Association of Sweden, Sweden
94. United to End Genocide, United States
95. Vision GRAM-International, Canada
96. Violations Documentation Center, Syria
97. Wake Up Genève for Syria, Switzerland
98. West Africa Civil Society Institute, Ghana
99. West African Bar Association, Nigeria
100. World Federalist Movement, Canada
101. World Federation of United Nations Associations
102. Zarga Organization for Rural Development, Sudan

Vorschläge zur Stärkung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag

Emilia von Mettenheim und Torie Cochrane-Buchmüller

Die Rolle des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) ist nicht nur zur weltweiten Strafverfolgung schwerster Menschenrechtsverletzungen, sondern auch zu ihrer Vorbeugung von entscheidender Bedeutung. Eine Stärkung der überstaatlichen Justiz ist ein wichtiges Mittel, um auf internationaler Ebene faire Verfahren zu gewährleisten. Der angedrohte Austritt Kenias beeinträchtigt derzeit allerdings die Glaubwürdigkeit des internationalen Gerichtsorgans in Den Haag. Eine Unterstützung des Strafgerichts durch die Bundesrepublik Deutschland in politischer sowie finanzieller Hinsicht ist daher wichtiger denn je. Insbesondere das Zeugenschutzprogramm des IStGH benötigt Förderung. 


Probleme laufender Verfahren vor dem IStGH

Obwohl das Gericht in Den Haag im März 2012 sein erstes Urteil verhängt hat und damit einen bedeutenden Milizenführer aus dem Ostkongo, Thomas Lubanga, hinter Gitter brachte, steht der IStGH noch immer vor Problemen: Die Gescheh-nisse rund um die laufenden Prozesse gegen die amtierenden Staatsoberhäupter von Kenia stellen derzeit die Glaubwürdigkeit des IStGH in Frage. Der erste Gerichtstermin wurde auf den 5. Februar 2014 angesetzt. Der amtierende Staatspräsident Kenyatta wird wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt, die er während der Präsidentschaftswahlen 2007 begangen haben soll. Er weigert sich, in Den Haag vorstellig zu werden und plant den Rücktritt Kenias vom Römischen Statut. Derweil hat sich der UN-Sicherheitsrat gegen eine Aussetzung des Verfahrens ausgesprochen. Die Fronten verhärten sich zunehmend. Für den Schutz der Autorität des IStGHs ist es wichtig, dass Deutschland seine unterstützende Rolle gegenüber dem IStGH bestärkt und innerhalb wie außerhalb der EU Partner zur Festigung dieses Gerichtsorgans zu finden.

Die acht derzeit laufenden Verfahren in Den Haag richten sich gegen amtierende und ehemalige Regierungsmitglieder der Länder Sudan, Libyen, der Elfenbeinküste und Kenia. Weitere acht Verfahren gegen Rebellenführer und ihre Anhänger aus dem Kongo, Uganda und Sudan sind anhängig. Einige dieser Verfahren befinden sich im Schwebezustand, da die Beklagten flüchtig sind. In allen Prozessen geht es um die Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Während es dem Gerichtshof nach wie vor an Handlungsfähigkeit mangelt, stellt der Fall Kenia nun seine allgemeine Zuständigkeit in Frage. Die Handlungsspielräume des IStGH müssen daher stärker durch die Mitgliedsstaaten deutlich ausgebaut werden.

Deutschland und der IStGH

Die Bundesrepublik gehört zu den größten finanziellen und politischen Unterstützern des Gerichtshofes. Solange sich jedoch Staaten wie die USA und die Volksrepublik China weiterhin der Mitgliedschaft verweigern, bleibt die Handlungsreichweite des IStGH eingeschränkt. Eine bloß symbolische Funktion des Gerichtshofes – und das steht nach wie vor zu befürchten – hätte schwerwiegende Folgen für die Zukunft der internationalen Strafgerichtsbarkeit und wäre ein Misserfolg der von der Bundesrepublik unternommenen Bemühungen um eine stärkere Verrechtlichung der internationalen Beziehungen.

Auch die Rechtsprechung nationaler Gerichte hat große Bedeutung für die allgemeine Anerkennung des Gerichtshofes in Den Haag. In Deutschland liegt das öffentliche Augenmerk auf den am Oberlandesgericht Stuttgart anhängigen Fällen gegen die zwei Milizenführer Ignace Murwanashyaka und seinen Stellvertreter Straton Musoni aus dem Ostkongo. Ihnen wird die maßgebliche Beteiligung an Kriegsverbrechen im Kongo vorgeworfen. Sie sollen von Baden-Württemberg aus bewaffnete Milizen zu Mord und Vergewaltigungen angeleitet haben. Dieser Prozess wendet zum ersten Mal das Völkerstrafrecht (VstGB) an, welches das Römische Statut in deutsches Recht überführt. Damit können die Beklagten auch dann für Taten, die sie im Ausland begangen haben, in Deutschland vor Gericht gebracht werden, wenn diese nicht gegen Deutsche verübt wurden.

Vorschläge zur Stärkung des IStGH

Trotz des Erfolges des IStGH sieht sich die internationale Strafgerichtsbarkeit mit großen Herausforderungen konfrontiert. Wichtig ist deshalb, dass die Unterstützung der Bundesregierung auch in der kommenden Legislaturperiode nicht nachlässt. Hierzu sind jedoch gezielte Maßnahmen erforderlich, die den Handlungsspielraum des Gerichts erweitern könnten.

Die finanzielle Unterstützung von derzeit 13,6 Millionen € durch den deutschen Staat sollte als gutes Beispiel bewahrt und perspektivisch weiter aufgestockt werden. Gerade zur Weiterverfolgung der derzeit anhängigen Fälle ist dieses Geld unverzichtbar und sollte als Bestandteil deutscher Konfliktprävention verstanden werden.

Neben finanzieller Unterstützung sollte diplomatisch auf diejenigen Mitgliedsstaaten eingewirkt werden, die sich ihrer Verantwortung entziehen wollen. Es ist die Aufgabe der Bundesregierung und anderer Unterstützer des IStGHs, zwischen den Gegnern Den Haags, dem Gerichtshof sowie den Anklägern zu vermitteln. Viel können hier auch die vor Ort stationierten politischen Stiftungen beitragen. Diese politische Aufgabe kann der Gerichtshof selbst nicht leisten. Der IStGH darf seine neutrale Funktion nicht verlieren.

Die kontinuierliche Überwachung der nationalen Prozesse nach dem VStGB wie in Stuttgart stellt in diesem Kontext ein vielbeachtetes Zeichen nach außen dar: Deutschland hat das Völkerstrafrecht in nationales Recht überführt und dient damit anderen Staaten als Vorbild. Deutschland sollte aktiver darauf hinwirken, dass andere Staaten diesem Beispiel folgen.

Um den Handlungsspielraum des IStGH zu erweitern und seine Glaubwürdigkeit auf internationaler Ebene zu stärken, ist zudem ein Ausbau des bestehenden Zeugenschutzprogrammes notwendig. Derzeit beteiligt sich Deutschland mit 900.000€ am Opferschutzfonds des IStGH. Hiermit werden die Opfer von Gräueltaten entschädigt. Es liegt auf der Hand, dass sich kaum Zeugen zu einem Fall finden lassen, wenn sich eine Anklageschrift gegen ein noch amtierendes Staatsoberhaupt richtet. Potenzielle Zeugen sehen sich und ihre Angehörigen in solchen Fällen zu Recht in Gefahr und verzichten auf eine Aussage, während die Anklageschrift in Den Haag mangels ergiebiger Prozessführungsgründe zurückgewiesen wird. Hiergegen hilft nur ein effektives Zeugenschutzprogramm.

 

Emilia von Mettenheim ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Völkerrecht bei Genocide Alert.

Torie Cochrane-Buchmüller ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Völkerrecht bei Genocide Alert.

Vorschläge zur Stärkung des IStGH – Genocide Alert Policy Brief 1-2014

Mit dem Privatjet in die Zelle: Das Karriereende von Bosco Ntaganda

 

 

Ein Paukenschlag. Montag, den 18. März 2013 kursiert seit der Mittagszeit aus gut unterrichteten Quellen die Information, Bosco Ntaganda, Kampfname “Terminator”, habe sich der US-Botschaft in Ruanda in Kigali ergeben. Später am Nachmittag bestätigt sich die Meldung endgültig.  Seit etwa 12 Jahren war er, obgleich nie als offizielle Nummer eins, Strippenzieher verschiedenster Rebellengruppen im Ostkongo.

 

Ein anekdotischer Rückblick

In früher Kindheit und Jugend musste Ntaganda aus Ruanda nach Uganda fliehen. Dort wuchs er in Flüchtlingslagern auf und kehrte Anfang der 1990er Jahre unter Fred Rwigyema und Paul Kagame mit der Rwandan Patriotic Front nach Ruanda zurück und half, den dort wütenden Genozid zu beenden. Es folgen erste Ausflüge in den Ostkongo, wohin die neue ruandische Armee den Schergen des Genozids (heute firmiert unter der Miliz FDLR) folgt, doch zugleich massenweise Massaker unter der Zivilbevölkerung verübt (siehe Mapping-Report der UN). Anschließend schließt sich Ntaganda für kurze Zeit der pro-ruandischen Besatzungsarmee RCD in und um Goma an, bevor er Militärchef von Thomas Lubangas UPC-Rebellen wird. Lubanga ist heute bekannt als erste Person, die vom Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag verurteilt wird. Aus dieser Zeit, 2002/03, stammt der Haftbefehl des ICC gegen ihn. Mitte des vergangenen Jahrzehnts wechselt der Terminator, übrigens eine Selbstbezeichnung – das Kino der frühen 1990er hatte seinen Einfluss auch in Zentralafrika – zur CNDP, Laurent Nkunda’s Miliz, die im Ostkongo einen Staat im Staate errichtete und zum Teil als Satrap Ruandas agierte. Jener Nkunda befindet sich seit 2009 unter Hausarrest in Ruanda – Folge eines Friedensabkommens zwischen der Demokratischen Republik Kongo und Ruanda. Dieses Friedensabkommen wurde nicht zuletzt dadurch begünstigt, dass Ntaganda sich willens zeigte, seinen Chef zu verraten. Er und weitere hochrangige CNDP-Offiziere erhalten prestigiöse Positionen in der kongolesischen Regierungsarmee. Der Terminator ist nun stellvertretender Kommandant aller Militäroperation im Ostkongo – und plötzlich General. Zugleich eröffnet er in Goma seinen privaten Grenzübergang nach Ruanda, der zu einem Brennpunkt und Nadelöhr für illegal gehandelte Rohstoffe wird. Der Haftbefehl des ICC gegen ihn besteht zu dieser Zeit bereits, aber der kongolesischen Regierung scheint die scheinbare Stabilität wichtiger zu sein. Ruanda befindet sich nicht unter den Unterzeichnerstaaten des Romstatuts.

Nach den letzten Präsidentsschaftswahlen im Kongo gerät der wiedergewählte Joseph Kabila unter starken diplomatischen Druck. Unabhängig von der Beobachtung, dass er nach einer geschickten Verfassungsänderung wahrscheinlich auch ohne Betrug Wahlsieger gewesen wäre, steht die Hypothek von brennenden Wahllokalen und Distrikten mit über 100% Wahlbeteiligung. Die internationale Gemeinschaft möchte als Gegenpfand den mächtigen Kriegsherren Ntaganda in Den Haag sehen. Kabila macht erste Anstalten, beizugeben. Der ihn aus dem Osten unterstützende Ntaganda (gleichwohl der Tatsache, dass dies immer mehr eine „alliance de convenience“ gewesen ist) verliert Vertrauen und Ruhe, desertiert. Eine Welle weiterer Kommandanten, fast auschließlich Ex-CNDP-Offiziere folgt dem Beispiel. Wenige Wochen später erscheint M23, die Bewegung des 23. März, auf der Bildfläche und verzeichnet rapide Geländegewinne nördlich von Goma, im Dreiländereck zwischen Kongo, Ruanda und Uganda. Während Ntaganda von der Bildfläche verschwindet, wird die Bewegung militärisch von Sultani Makenga und Baudouin Ngaruye geführt. Die Forderung lautet, das Friedensabkommen vom 23. März 2009, dass die CNDP in die Regierungsarmee FARDC integriert hat, nun endlich komplett umzusetzen. Offiziell gehört Ntaganda nicht zur M23, aber schnell wird klar, dass er im Hintergrund agiert.
Die UN-Expertengruppe zum Kongo findet erhebliches Material, dass auch Ruanda und Uganda ihre Finger im Spiel haben. Am 20. November 2012 (wie in vorigen Blogeinträgen berichtet), nimmt M23 Goma im Handstreich und demonstriert etwa zwei Wochen Stärke, bevor der Abzug mit neugewonnenem Material und frischen Rekruten beginnt. Es folgen Verhandlungen in Kampala. In dieser Periode wird zum ersten Mal deutlich, dass innerhalb von M23 die alten politischen, ökonomischen, ethnischen Spannungen des CNDP, die ihren Ursprung in der Absetzung Nkundas durch Ntaganda haben, weiterleben. Makenga, ein enger Vertrauter Nkundas setzt sich mit der Entscheidung für den Abzug und Verhandlungen durch, während der politische Führer Jean-Marie Runiga und Ngaruye mit dem Wunsch, den Feldzug fortzuführen, scheitern. Sie sind Ntagandas Spielsteine in dieser Konstellation. Einige Wochen später, Meldungen über Kämpfe innerhalb von M23 – ein Bruderkampf beginnt. Makenga hatte Runiga als politischen Führer der Bewegung abgesetzt, woraufhin dieser und die Ntaganda-treuen Offiziere sich zu jenem absetzen. Der Gegenangriff folgt binnen weniger Tage. Heftige Schlachten halten den sogenannten „petit Nord“ der Provinz Nordkivu in Atem. Nach etwa drei Wochen wird klar, dass die Makenga-Fraktion siegreich sein würde. Viele hochrangige Ntaganda-Kämpfer sterben. Runiga flüchtet als erster nach Ruanda, begleitet von Ngaruye, sowie Seraphin Mirindi und Innocent Zimurinda. Andere ergeben sich Makenga, wiederum andere den Blauhelmen der MONUSCO. Keine Spur von Bosco Ntaganda, bis jener sich unter mysteriösen Umständen am 18. März in der US-Botschaft ergibt und ironischerweise am 23. März, Namensgeber seiner letzten Rebellenformation, in den Haag den Haftbefehl vorgelesen bekommen wird, nachdem er die obligatorische medizinische Untersuchung überstanden hat. Doch wie ist die vermeintliche Selbstauslieferung zustande gekommen?

Zwei konkurriende Theorien besitzen den größten Grad an Wahrscheinlichkeit und werden jeweils von zahlreichen verschiedenen Informanten und anderen Quellen getragen. Beide gehen davon aus, das Ntaganda zwischen dem 16. und 18. März die Grenze nach Ruanda überquert hat:

Variante A: Ntaganda gelangt unbemerkt auf ruandisches Territorium. Mithilfe der Freunde, die er in der ruandischen Armee noch immer besitzt, reist er inkognito bis nach Kigali. Dort stellt er sich der US-Botschaft und bittet um die Überführung nach Den Haag.

Variante B: Ntaganda wird auf ruandischen Territorium von den dortigen Sicherheitskräften festgenommen und nach Kigali gebracht. Die ruandische Regierung zwingt ihn, sich der US-Botschaft zu stellen und um die Überführung nach Den Haag zu bitten.

Beide Varianten beruhen auf einigen Gemeinsamkeiten. Zum einen muss Ntaganda um sein Leben gefürchtet haben – anders lässt sich die überraschende Selbstauslieferung kaum erklären. Eine drohende Haftstrafe von 10-20 Jahren muss in seinen Augen die bessere Alternative gewesen sein. Weiterhin wird klar, Ruanda hat das Interesse an ihm verloren. War er über zehn Jahre in RCD, UPC, CNDP und M23 ein Handlanger, Partner und Instrument ruandischer Interessen im Kongo, so muss Ruanda nun zum Schluss gekommen sein, dass Ntaganda nunmehr ein belastendes Element geworden ist. Dies zeigt nicht zuletzt, ganz egal ob die Wahrheit mehr Variante A oder B gleicht, die Kooperation des Landes mit dem ICC – gerade auch, weil Ruanda den ICC gemeinhin ablehnt.

Über die Spekulationen zur Selbstauslieferung hinaus bleiben weitere Fragen im Fall Ntaganda offen. Die Rolle der kongolesischen Regierung (die bereits sehr früh Ntaganda’s Grenzübergang denunziert hatte, die Rolle der siegreichen Makenga-Fraktion der M23, sowie die Rolle der USA – schließlich hätte Ntaganda sich verhältnismäßig einfacher auch den Blauhelmen in Kibumba, in der Nähe seines letzten Hauptquartiers, stellen können. Was Ntaganda dazu bewegt hat, nicht etwa auf eine seiner Farmen in westlich gelegene Masisi zu fliehen ist unklar. Der Zustand seiner Truppen lässt jedoch darauf schließen, dass er über unzureichende Munition verfügte und alle Zugangswege von feindlichen Akteuren versperrt waren.

Seit dem frühen Nachmittag des 22. März sitzt Ntaganda in einem privat gecharterten Jet mit einer Delegation des ICC. Es ist seinen Opfern, aber auch dem (oft nicht ganz zu unrecht) kritisierten Internationalen Strafgerichtshof zu wünschen, dass was ihn betrifft, Gerechtigkeit geschaffen wird. Darauf zu spekulieren, dass Ntagandas Festnahme und eventuelle Verurteilung den Konflikt im Ostkongo lösen kann ist allerdings blauäugig. Der Friedensprozess bleibt festgefahren. Eine Integration der M23 in die Regierung – die nicht ausgeschlossen ist – wird dieses Problem lösen, wenn auch nur auf Zeit. Zugleich kann sie jedoch weitere Probleme schaffen, wie die Desertion anderer Gruppen. Die neue Sondergesandte der UN, Mary Robinson, sieht sich einer höchst delikaten Lage gegenüber, bei der nicht zuletzt die Rolle der beteiligten Regierungen besonders problematisch werden kann.

 

Ein Beitrag von Christoph Vogel, Mercator Fellow
Originalveröffentlichung des Artikels auf www.nefia.org

Genocide Alert unterzeichnet Aufforderung an den tschadischen Präsidenten Idriss Deby, den Haftbefehl gegen Umar al-Baschir anzuerkennen

Genocide Alert unterzeichnet Aufforderung an den tschadischen Präsidenten Idriss Deby, den Haftbefehl gegen Umar al-Baschir anzuerkennen. Am 12. Juli 2010 stellte der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) gegen al-Bashir, Präsident des Sudan einen Haftbefehl wegen Völkermords aus. In einem gemeinsamen Schreiben fordern 97 internationale Organisationen den Präsidenten des Tschad dazu auf, den Haftbefehl anzuerkennen, Umar al-Baschir nicht in den Tschad einreisen zu lassen oder den Haftbefahl bei einer Einreise auszuführen.

Pdf.-Version der Aufforderung an den tschadischen Präsident Idriss Deby