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Wie steht es um „Nie wieder“ nach 70 Jahren Völkermordkonvention und Menschenrechtserklärung?

Siebzig Jahre nach der Verabschiedung der Völkermordkonvention und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte dürfen wir die Hoffnung auf eine Welt, in der alle Menschen in Würde und ohne Angst leben können, nicht aufgeben.

von Gregor Hofmann Weiterlesen

„Nie wieder“? Ein Handlungsleitfaden für Parlamentarier zur Prävention von Massenverbrechen

Fast 2/3 aller Flüchtlinge weltweit stammen aus nur 12 von Massenverbrechen betroffenen oder bedrohten Staaten. Allein in zehn ihrer Herkunftsstaaten wurden im Jahr 2017 über 147.000 Menschen getötet, darunter über 28.400 Zivilisten. Obwohl sich nur eine sehr kleine Minderheit der Flüchtlinge in Deutschland aufhält, löste ihr Ankunft eine der intensivsten Debatten um Flüchtlinge und Fluchtursachen in der Geschichte der Bundesrepublik aus. Gefühlter Kontrollverlust und diffuse Ängste haben aber auch zum Aufschwung von Rechtspopulisten beigetragen, die für nationale Abschottung und einen Rückzug aus internationalem Engagement plädieren. Angesichts anhaltender Notstände und zahlreicher Krisensituationen wäre dies nicht nur moralisch, wirtschafts- und sicherheitspolitisch verantwortungslos, sondern auch aufgrund der Mobilität von Flüchtlingen nicht durchsetzbar.

Das Verhindern von Massenverbrechen, d.h. von Völkermorden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und systematischen Kriegsverbrechen, stellt eine moralische und historische Verantwortung Deutschlands dar und liegt im Hinblick auf ihre katastrophalen wirtschafts- und sicherheitspolitischen Auswirkungen im ureigenen Interesse der Bundesrepublik. Die Bundesregierung hat das Verhindern von Massenverbrechen im Juni 2017 in den Leitlinien zur Krisenprävention entsprechend zur deutschen Staatsraison erklärt.

 

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Um die Staatsraison in praktische Schritte zu übersetzen und Massenverbrechen tatsächlich effektiver zu verhindern, ist eine außenpolitische Schwerpunktsetzung und Konzeptentwicklung in der Prävention von Massenverbrechen notwendig. Wie dieses Policy Paper illustriert, besitzt die Bundesrepublik einen Blinden Fleck bei der frühzeitigen Erkennung und der gezielten Prävention von Massenverbrechen. Zur Behebung ist die Erstellung eines Bestandsberichtes zur Prävention von Massenverbrechen erforderlich, der von Parlamentariern angestoßen und vom Auswärtigen Amt in Auftrag gegeben werden sollte.

Das frühzeitige Verhindern der schwersten Menschenrechtverletzungen weltweit darf kein politisches Randthema bleiben. Die Möglichkeiten parlamentarischen Engagements gehen weit über den Anstoß eines Bestandsberichtes hinaus. Zugeschnitten auf spezifische Ausschüsse und Tätigkeitsfelder entwirft dieses Paper anhand von 27 konkreten Handlungsvorschlägen eine Strategie zur Prävention von Massenverbrechen. Es basiert auf Ergebnissen eines mit dem Auschwitz Institute for Peace and Reconciliation durchgeführten Parlamentarierprojektes sowie dem Global Parliamentarians – Treffen zu Atrocity Prevention.

 

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GA Policy Paper – Handlungsleitfaden für Parlamentarier zur Prävention von Massenverbrechen

Koalitionsvertrag offenbart Handlungsbedarf bei der Prävention von Massenverbrechen

Die neue Bundesregierung wurde am 14. März vereidigt. Als Grundlage der zukünftigen Regierungsgeschäfte enthält der Koalitionsvertrag in Bezug auf die Schutzverantwortung einige sehr begrüßenswerte Forderungen, etwa nach einer restriktiveren Rüstungsexportpolitik. In vielen Punkten geht er jedoch nicht weit genug.
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Konferenz des Women Network on the R2P, Peace and Security in Leeds, Dezember 2017 (Quelle: Twitter: @ECR2P)

Das Women’s Network on the R2P, Peace and Security: Ein Veranstaltungsbericht

Vom 12.-13. Dezember 2017 nahm Genocide Alert im britischen Leeds beim Workshop des Women’s Network on the R2P, Peace and Security teil. Das Netzwerk wurde durch eine Initiative von Cristina Stefan, Co-Direktorin des European Centre for the Responsibility to Protect Ende 2017 gegründet. Bei dem mit hochrangingen internationalen Professorinnen, Expertinnen, Aktivistinnen und Politikerinnen besetzten Treffen, wurde Expertise zur Prävention von Massenverbrechen, dem Konzept der Schutzverantwortung (R2P) sowie weiteren sicherheitspolitischen und weiteren Fragen ausgetauscht.  Langfristig soll das von Christina Stefan, der Co-Direktorin des European Centre for the Responsibility to Protect, gegründete Netzwerk eine Plattform für internen Austausch bieten und etablierte Expertinnen mit jüngeren Wissenschaftlerinnen vernetzen.

Erfrischende Gender-Perspektive beim Workshop in Leeds

Während der beiden Konferenztage präsentierten die eingeladenen Mitglieder des Netzwerks ihre Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte und tauschten sich über Themen mit besonderer Relevanz für das Netzwerk aus. Neben Genocide Alert waren u.a. der European External Affairs Service, das Büro der Vereinten Nationen für die Prävention von Völkermord und die Responsibility to Protect, das US-amerikanische Global Center for the Responsibility to Protect, das United States Holocaust Memorial Museum und die Stanley Foundation, vertreten. Um die Sichtbarkeit des Engagements von Frauen zu betonen, wurden alle Vorträge von Frauen gehalten. Auch Männer konnten die Veranstaltung selbstverständlich besuchen und sich an den Diskussionen beteiligen.

Umso präsenter war eine erfrischende Gender-Perspektive in den Präsentationen: Neben dem Herausgreifen von Themenaspekten im Bereich der Genozidprävention mit besonderer Relevanz für Frauen, entschlossen sich viele Teilnehmerinnen dazu, persönliche Erfahrung mit Sexismus in ihrer eigenen beruflichen Laufbahn in ihren Vorträgen zu thematisieren. Einige dieser Berichte, zum Teil von hochrangigem UN-Personal, zeichneten das Bild einer erschreckenden frauenfeindlichen Dynamik in diesem Arbeitsfeld.

Rolle der Zivilgesellschaft in der Prävention von Massenverbrechen

Im Rahmen der Paneldiskussion „Violence and Protection – Regional Perspectives“ referierte Isabel Tamoj für Genocide Alert zur Rolle der Zivilgesellschaft in Bezug auf die Prävention von Genoziden in Europa. Insbesondere in Deutschland ist das Thema der Prävention von Massenverbrechen in der öffentlichen Diskussion kaum präsent, sondern in kleinen Politikzirkeln verhaftet. Massenverbrechenprävention ist aber nicht nur ein gesellschaftsumspannendes Thema, sondern benötigt als außenpolitisches Konzept auch erhebliche Ressourcen. Deshalb ist innenstaatliche Unterstützung und Kontrolle notwendig.

Das Konzept der Schutzverantwortung sollte, das zeigte auch die anknüpfende Diskussion, zudem vermehrt auf die individuelle und lokale Ebene heruntergebrochen werden, da die gängigen „top-down“ Ansätze für eine effiziente Prävention von Massengewalt nicht ausreichen. Mehr Aufmerksamkeit sollte auf das Stärken der lokalen Widerstandsfähigkeit („buidling resilience“) zur Prävention von Massenverbrechen gelegt werden. Strukturelle Ursachen für Massenverbrechen zu beheben bedarf oft langfristiger Zeiträume und erheblicher Mittel, die in der politischen Praxis nicht immer verfügbar sind. Auch sind Gewaltverläufe und Eskalationen in ihrer zeitlichen und räumlichen Ausprägung nur schwer vorhersehbar. Lokale Widerstandsfähigkeiten können gestärkt werden, etwa durch Versöhnungs- und Aufarbeitungsprozesse nach Gewaltepisoden, den Schutz und die Förderung von Minderheiten und gesellschaftlicher Diversität, eine Demilitarisierung der Gesellschaft, Reformen des Bildungssystems sowie des Sicherheits- und Justizsektors oder die Stärkung der Rechte und der Partizipation von Frauen. Damit können die Risiken für ein Auftreten von Gräueltaten gesenkt und deren Auswirkungen gemildert werden.

Konkrete Vorschläge aus der Diskussion

Auf der Konferenz wurde zudem  vorgeschlagen:

  • Die Definition von „Bevölkerung“ im Kontext der R2P neu zu denken, da sich „Bevölkerung“ in Zeiten zunehmender Migrationsströme nicht ausschließlich auf Staatsangehörige beziehen sollte. Das Konzept der Schutzverantwortung postuliert die Verantwortung von Staaten, ihre eigene Bevölkerung vor Massenverbrechen zu schützen. Angesichts der massiven Migrationsbewegungen, sollte sich die Schutzverantwortung auf alle Menschen, die sich auf dem Territorium eines Staates befinden, beziehen. Insbesondere Flüchtlinge sind oftmals besonders schutzlos Es wurde angemerkt, dass gerade im Kontext von Konflikten Frauen oft nicht selbstverständlich als gleichwertiger Teil der „Bevölkerung“ angesehen werden und das gerade im Rahmen der Schutzverantwortung die Gleichstellung von Mann und Frau gewährleistet sein muss.
  • Die EU muss außenpolitische Prinzipien auch im Inneren erfüllen: Eine ausschließliche „outward-looking-perspective“ zur Prävention von Massenverbrechen sorgt nicht nur für blinde Flecken, sondern erweist sich für eine allumfassende Prävention von Massengewalt auch zunehmend als ungenügend. Eine effektive und langfristig ausgerichtete, außenpolitische Prävention von Massenverbrechen ist auf innerstaatliche, öffentliche Unterstützung angewiesen. Gleichzeitig sind Forderungen und Projekte im Ausland zur Förderung von Rechtsstaatlichkeit und politischen Reformen, zur Eindämmung von Hassreden, zur Bekämpfung von Diskriminierung und zur Partizipationsförderung nur glaubwürdig, wenn dies auch innerhalb Europas eine Selbstverständlichkeit darstellt. Auch wenn das Risiko für Massenverbrechen innerhalb Europas kleiner ist als in anderen Regionen, müssen diese Themen im Rahmen einer „inward-looking-perspective“ evaluiert und adressiert werden.
  • Die Wahrnehmung und Darstellung von Frauen in Konfliktsituationen muss sich ändern. Es darf weder eine „Fetischisierung“ von Frauen, die Opfer von Massengewalt geworden sind, stattfinden (wie im Fall der Jesidinnen), noch eine „Infantilisierung“ der Rolle von Frauen durch die immerwährende Assoziierung von Frauen mit Kindern („wir müssen Frauen und Kinder schützen“). Stattdessen sollten Frauen als eigenständig handelnde Individuen gesehen werden („persons with agency“), die nicht nur Schutz suchen, sondern bewusst aktive Rollen einnehmen können. Frauen können sowohl Täterinnen als auch Opfer sein.

Weltweit werden sicherheitspolitische Diskurse noch wesentlich von Männern geführt. Doch das Bild kann nicht vollständig sein, wenn nicht alle Blickwinkel gleichermaßen berücksichtigt werden. Genocide Alert wird sich daher auch weiterhin am Women’s Network on the R2P, Peace and Security beteiligen.

Autor: Isabel Tamoj, Genocide Alert

Zerstörte Gebäude in Azaz in Syrien im August 2012 (Quelle: Voice of America News/Wikimedia)

Interview mit dem Deutschlandfunk Kultur zur Schutzverantwortung

„Rest in Peace, Responsibility to Protect?“ In einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur haben Gregor Hofmann​ und Jens Stappenbeck​ von Genocide Alert e.V. diskutiert, wie es um das Konzept der Schutzverantwortung steht. Öffentliche Unterstützung ist seit der Ausweitung der Militärintervention in Libyen, deren Durchführung auch Genocide Alert kritisch gegenübersteht, zurückgegangen. Doch worum genau handelt es sich bei dem Konzept eigentlich? Dazu geben neben Gregor Hofmann unter anderem auch Bruno Schoch vom Peace Research Institute Frankfurt (PRIF)​ und Peter Rudolf von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP)​ Auskunft.

Der Beitrag: „Rest in Peace, Responsibility to Protect?“ – Deutschlandfunk Kultur.
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Ein niedergebranntes Haus in einem Rohingya-Dorf im nördlichen Rakhine State, August 2017 (Wikimedia/Moe Zaw (VOA))

Die Notlage der Rohingya und die Verantwortung, ethnische Säuberungen zu verhindern

Die Gewalt gegen die Rohingya in Myanmar und deren erzwungene Vertreibung hält weiter an. Obwohl die dortigen Geschehnisse als ethnische Säuberungen bezeichnen werden können, zeigt sich der UN-Sicherheitsrat unfähig, die Gewalt entsprechend zu verurteilen. Das wirft die Frage auf, was die ‚Responsibility to Protect’ in der Praxis bedeutet. Die anhaltende humanitäre Krise ist Resultat und Höhepunkt bereits lange Zeit andauernder Diskriminierung der Rohingyas. Diese muslimischen Minderheit aus dem Staat Rakhine wird weiter leiden und noch mehr Gräueltaten ausgesetzt sein, wenn die internationale Gemeinschaft weiterhin nichts unternimmt.

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