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Unterschrift des Koalitionsvertrages der 18. Wahlperiode des Bundestages am 16. Dezember 2013. Von links nach rechts: Sigmar Gabriel, Angela Merkel, Horst Seehofer. Martin Rulsch, Wikimedia Commons, CC-by-sa 4.0

Die Große Koalition und die Prävention von Massenverbrechen – Ein Resümee

Die Große Koalition hat sich in dieser Legislaturperiode nicht zuletzt aufgrund der Gräueltaten des Islamischen Staates in Syrien und im Irak verstärkt mit dem Thema Massenverbrechen auseinandergesetzt. Der Dialog mit Nichtregierungsorganisationen ist gesucht worden –  tatsächliche Ergebnisse sind jedoch noch nicht erkennbar. Weiterlesen

Deutschland muss UN-Friedensmissionen stärken

Ohne UN-Friedensmissionen gäbe es höhere Flüchtlingszahlen, mehr Raum für Terrorgruppen, blutigere sowie metastasierende Konflikte. Ein starkes UN-Friedenssicherungssystem ist damit im ureigenen Interesse Deutschlands und Europas. Die Bundesrepublik sollte deswegen ihren personellen Beitrag zu Blauhelmmissionen deutlich aufstocken und darauf drängen das UN-Friedenssicherungssystem effektiver zu machen. Das vorliegende Policy Brief analysiert die Chancen und Probleme des aktuellen Blauhelmsystems und zeigt, wie Deutschland und die EU mit zivilen und militärischen Mitteln die Vereinten Nationen stärken sollten.

 

UN-Friedensmissionen: Globale Stabilitätsanker

Der Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen zählt mehr als 13 Millionen Flüchtlinge und über 38 Millionen Binnenvertriebene weltweit. Würden UN-Friedenseinsätze nicht zumindest ein gewisses Maß an Stabilität und Schutz bieten, wären weitaus mehr Menschen auf der Flucht. Nicht zuletzt nach Europa.

Im Südsudan, der Demokratischen Republik Kongo, der Zentral­afrikanischen Republik, Darfur und Mali sind UN-Blauhelme oft die einzigen, die die Zivilbevölkerung vor Massenverbrechen schützen und Zugang zu humanitärer Hilfe erleichtern. Friedensmissionen verhindern oft den Ausbruch von Gewalt, leisten einen Beitrag zu Rechtssicherheit und Friedensförderung und reduzieren das Risiko eines Wiederaufflammens von Kämpfen. Ohne UN-Friedensmissionen gäbe es mehr und blutigere Konflikte, ansteigende Flüchtlingszahlen, erhöhte Destabilisierung benachbarter Länder und weitere Räume für terror­istische Gruppierungen. Ein starkes UN-Friedens­sicherungssystem entspricht damit den deutschen und europäischen Sicherheitsinteressen und Werten.

UN-Friedens­­missionen leiden jedoch unter einer Vielzahl von Problemen: Die Missionen sind mangelhaft ausgestattet, lösen ihr Schutzversprechen zu oft nur unzureichend ein. In Ausnahmefällen waren Blauhelme selbst für Leid verantwortlich, wie im Fall von Vergewaltigungen in der Zentralafrikanischen Republik. Um solche Herausforderungen besser zu bewältigen, müssen sich mehr Länder im Rahmen des UN-Friedenssicherungssystems engagieren.

Es ist begrüßenswert, dass die Bundesregierung den Etat des Auswärtigen Amts für Krisenprävention um 400 Millionen Euro pro Jahr aufstocken und das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze stärker unterstützen will. Eine größere Beteiligung von Bundeswehrsoldaten und Polizisten ist für eine Stärkung von UN-Friedens­einsätzen unabdingbar.

Vereinten Nationen haben aus Fehlern gelernt

UN-Friedensmissionen besitzen eine hohe politische und völkerrechtliche Legitimität. Sie verfügen über ein Mandat des UN-Sicherheitsrats und werden von der UN selbst geführt. Regio­nalorganisationen wie die Afrikanische Union oder die Europäische Union beteiligen sich in einigen Fällen komplementär dazu an der Umsetzung der UN-Mandate. Sie kommen nur mit Zustimmung des Gastlandes zustande. UN-Ein­sätze sind nicht mit „Koalitionen der Willigen“ zu verwechseln, die außerhalb der UN und gegen den Willen des Einsatzlandes operieren.

Die UN hat aus ihren Fehlschlägen gelernt. In den 1990er Jahren wurde der Fehler gemacht, UN-Beobachtermissionen in komplexe Konfliktsituationen zu entsenden. Die klassischen Missionen hatten sich zuvor bei der Überwachung von Waffenstillständen mit klaren Trennlinien zwischen den Konflikt­parteien bewährt. Die neuen UN-Einsätze betreffen hingegen Situationen, in denen zahlreiche nicht-staatliche Gewalt­akteure involviert sind, die an den Konflikten verdienen und oftmals kein Interesse an einem Gewaltverzicht haben. Zivilisten sind häufig direktes Ziel von Angriffen, was eine deutlich engagiertere und robustere Rolle der Blauhelme erfordert. Die Mandate und Ausgestaltung gegenwärtiger Missionen reflektieren diesen Wandel.

Das Prinzip der Zustimmung, Neutralität und des minimalen Einsatzes von Gewalt gilt weiterhin. Für den Schutz von Zivilisten, der mittlerweile in fast allen Mandaten als eine Hauptaufgabe festgeschrieben ist, dürfen UN-Truppen dennoch Zwangsmittel einsetzen. Die „Force Intervention Brigade“ in der Demokratischen Republik Kongo zeigt, dass ein offensives Vorgehen seitens der UN erfolgreich sein kann. Seit 2013 kommt die unter Führung des deutschen Diplo­maten Martin Kobler stehende Truppe mit Soldaten aus Südafrika, Malawi und Tansania zum Einsatz. Sie schaffte es in kurzer Zeit die Rebellengruppierung M23 zu besiegen, welche bis dahin die Zivilbevölkerung terrorisiert hatte.

Europa überlässt die Risiken Anderen

Noch vor 20 Jahren stellten europäische Länder mit 25.000 Soldaten 40 Prozent der UN-Blauhelme. Mittlerweile beschränkt sich Europa überwiegend auf finanzielle Unterstützungen. Es überlässt damit den Truppenstellern aus der nicht-westlichen Welt die tatsächlichen Risiken. Europa stellt derzeit nur 7% der insgesamt 106.000 Soldaten und Polizisten in UN-Missionen. Deutschland kam Mitte 2015 lediglich auf einen Beteiligungsanteil von 0,16% (175 Personen). Diese Zahl hat bei anderen europäischen Verbündeten wie den Niederlanden oder Frankreich (681 bzw. 906 Soldaten und Polizisten) zu Recht für Unmut gesorgt.

Eine solche „Arbeitsteilung“ wird immer brü­chiger. Während die Industriestaaten versuchen, an der Kostenschraube zu drehen, wächst die Frustration in den Ländern des globalen Südens, deren Truppen in den Krisengebieten stehen.

Um die Nachhaltigkeit des UN-Friedenssicherungs-systems zu erhalten, müssen Deutschland und Europa größere personelle Verantwortung übernehmen. Konkret heißt das: Mehr Truppen mit besserer Ausrüstung und Ausbildung. Im Fall von Misshandlungen muss die UN z.B. Blauhelm-Kontingente auswechseln können, ohne das Friedensmissionen vor Ort kollabieren.

Deutschland sollte größeren Beitrag leisten

Viele Friedensmissionen benötigen dringend zivile und militärische Fähigkeiten, über die Deutschland verfügt. Nach dem Ende des ISAF-Einsatzes und der Truppen­reduzierungen auf dem Balken verfügt die Bundeswehr über freie Kapazitäten für UN-Missionen. Bereits wenige deutsche Kräfte können andere Kontingente in die Lage versetzen, die Wirkung der Missionen erheblich zu verbessern. Vor allem sind Auf­klärungsfähigkeiten notwendig, um Bedrohungen zu erkennen und Zivilisten und Blauhelme effektiver zu schützen. Hubschrauber werden für die erforderliche Mobilität und als Luftunterstützung benötigt. Deutschland kann logistische und technische Fähigkeiten wie Pioniere und Sanitätseinheiten beisteuern und sollte in diese Kapazitäten in Zukunft verstärkt investieren.

Die Bundesregierung sollte entsprechende Planung-en für Fähigkeiten und Kapazitäten in ihrem neuen Weißbuch festhalten. Die Bundeswehr sollte selbst ein Konzept zum Schutz von Zivilisten entwickeln und in die eigene Ausbildung integrieren. Zudem sollte die Selbstverpflichtung des Koalitionsvertrages umgesetzt werden, im Rahmen einer Bund-Länder-Verein­barung die Voraussetzungen für die umfangreichere Entsendung deutscher Polizeibeamter zu schaffen.

Die EU hält jeweils zwei EU-Battlegroups bereit, um innerhalb weniger Tage robust in Krisen intervenieren zu können. Obwohl diese Verbände seit acht Jahren bestehen, wurden sie bisher nie eingesetzt.

Zwischen der Mandatierung einer UN-Mission durch den UN-Sicherheitsrat und deren Eintreffen am Einsatzort vergeht hingegen meist zu viel Zeit. Diese Phase ist jedoch entscheidend für den Schutz bedrohter Bevölkerungen sowie für die Erfolgsaus-sichten einer Mission. EU-Battlegroups sind ein geeignetes Instrument, um diesen kritischen Zeitraum zu überbrücken. Deutschland sollte sich daher dafür stark machen, diese als Brücken­kapazitäten für UN-Missionen zur Verfügung zu stellen.

 

Autor: Christoph Schlimpert, stellvertretender Vorsitzender von Genocide Alert

Download: Hier das Policy Brief Blauhelmmissionen stärken als PDF herunterladen.

 

Ein drohender Völkermord im Südsudan: Zivilisten im Südsudan brauchen jetzt mehr deutsches Engagement

Wenige Wochen nach dem Gedenken an den Völkermord in Ruanda im Bundestag warnt der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung vor einem Völkermord im Südsudan. Nach Ausbruch eines Bürgerkrieges und ethnisch motivierten Tötungen schweben dort Hunderttausende Zivilisten in Lebensgefahr. Deutschland verfügt über die Mittel, den Schutz der Menschen im Südsudan merkbar zu verbessern. Hierfür sollte die Bundesregierung ihre Unterstützung der UN-Mission im Südsudan sowie ihre humanitäre Hilfe massiv ausweiten.

„Wir schulden [den Opfern von Menschheitsverbrechen], dass wir uns nicht dem Gefühl der Ohnmacht und schon gar nicht der Gleichgültigkeit hingeben – dass wir nicht nur anprangern, sondern alles tun, was in unserer Macht steht, um Völkermord zu verhindern!”

(Frank-Walter Steinmeier, 4. April 2014)

Wenige Wochen nach den Gedenkfeierlichkeiten des Bundestag zum Völkermord in Ruanda warnt der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Christoph Strässer vor einem erneuten Völkermord im Südsudan. Deutschland und die internationale Gemein-schaft sind jetzt zum Handeln aufgerufen, solange sich dort eine weitere Eskalation verhindern lässt. In Kürze wird sich die Situation soweit verschlimmert haben, dass Hilfe deutlich schwerer und um ein Vielfaches teurer wird.

Die Situation im Südsudan: Mord, Vergewaltigung, Hunger und Krankheit

Im Südsudan eskaliert seit Dezember 2013 der Konflikt zwischen Präsident Salva Kiir, Angehöriger der Volksgruppe der Dinka, und seinem ehemaligen Stellvertreter Riek Machar, der zur Volksgruppe der Nuer gehört. Beide kämpfen um die Macht im 2011 unabhängig gewordenen Südsudan. Alle Bemühungen blieben bisher erfolglos, Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien voranzutreiben.

Mehr als 20.000 Menschen starben seit Dezember 2013 aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Die Vereinten Nationen dokumentierten zuletzt Massaker in der Stadt Bentiu, in denen hunderte Männer, Frauen und Kinder zunächst nach ihrer ethnischen Zugehörigkeit selektiert und anschließend brutal ermordet wurden. Wie 1994 in Ruanda wurde im Radio zur Vergewaltigung von Frauen der anderen Ethnie aufgerufen.

Mehr als 60.000 Menschen suchten seit Ende Dezember Schutz auf den UN-Stützpunkten der Blauhelme vor Ort. Diese Menschen zu versorgen ist eine riesige Herausforderung. Es fehlt an Unterkunft, Nahrung, sauberen Wasser, Latrinen und Gesundheitsversorgung. Mit dem Beginn der Regenzeit könnten mehrere UN-Stützpunkte teilweise überschwemmt werden – mit fatalen Folgen für die Flüchtlinge. Das Risiko einer Cholera-Epidemie steigt rapide. Über eine Million Menschen im Land sind inzwischen auf der Flucht. Zeitgleich bahnt sich eine Hungerkatastrophe an.Mindestens 3,7 Millionen Zivilisten sind von akuter Lebensmittelknappheit betroffen. UNICEF warnt vor einer Hungersnot mit bis zu einer Millionen Toten.

Der UN-Sicherheitsrat beschloss am 24. Dezember die Aufstockung der UN-Mission im Südsudan (UNMISS) von bisher 7.000 auf nun 12.500 Soldaten und Polizisten. Vier Monate später sind nur ca. 1.500 Soldaten von dieser Verstärkung im Südsudan eingetroffen. Laut Angaben der Vereinten Nationen werden insgesamt umgerechnet 917 Millionen Euro für humanitäre Hilfe gebraucht. Bisher wurde von Seiten der internationalen Gemeinschaft nur knapp ein Drittel dieser Summe zugesagt.

Deutschland kann und muss einen Beitrag leisten

Deutschland ist bereits seit Jahren im Südsudan aktiv und mit derzeit 14 Stabs- und Verbindungsoffizieren an der UN-Friedenstruppe beteiligt. Das Mandat der deutschen Soldaten wurde im November 2013 vom Bundestag verlängert: 541 Abgeordnete stimmten für eine Mandatsobergrenze von 50 Soldaten. Die Offiziere halfen bislang bei der Koordinierung von Kranken- und Verletztentransporten sowie der Lieferung von Trinkwasser.

Nach Angaben des Auswärtigen Amtes inves-tierte Deutschland zwischen 2009 und 2012 mehr als 800 Millionen Euro in den Staatsaufbau und die Stabilisierung des Sudan und Südsudan. Die Bundesrepublik und Europa haben ein Interesse daran, eine weitere Destabilisierung der Region Ostafrika zu verhindern. Deutschland hat als Teil der internationalen Gemeinschaft zudem eine Schutzverantwortung für die Menschen im Südsudan. Die Ende April 2014 versprochene humanitäre Soforthilfe der Bundesregierung belief sich auf 45,6 Millionen Euro. Diese Hilfe und der persönliche Besuch von Entwicklungsminister Müller im März 2014 waren wichtige Zeichen. In der aktuell eskalierenden Lage sollte Deutschland jedoch mehr tun:

  • Die UN-Mission hat eindringlich um mehr Soldaten und logistische Kapazitäten gebeten. Die Leiterin von UNMISS sagte in einem Treffen mit Entwicklungsminister Müller am 27. März 2014: „Im Hinblick auf deutsche Soldaten – Wenn es jemals einen Zeitpunkt für einen robusten und umfassenden Beitrag gegeben hat, dann ist dieser jetzt.“ Deutschland sollte in Absprache mit der UN deutlich mehr Soldaten und Polizisten entsenden, logistische Kapazitäten der Bundeswehr für den Transport von UN-Truppen in den Südsudan einsetzen sowie UNMISS Luftaufklärungsfähigkeiten und Hubschrauber zur Verfügung stellen. Seit Ausbruch des Konflikts wurden bereits zwei UN-Stützpunkte angegriffen. Deswegen werden Ingenieurs- und Pionierkapazitäten gebraucht, um den Ausbau der UN-Stützpunkte zu ermöglichen und um angemessene Einrichtungen für den Schutz von Flüchtlingen zu schaffen.
  • UNMISS muss bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zum Schutz von Zivilisten weniger von der Kooperation der südsudanesischen Regierung als eine der Konfliktparteien abhängig gemacht werden. Hierzu sollte Deutschland in New York eine dahingehende Überarbeitung des Mandates der UN-Mission unterstützen.
  • Um die politischen Bemühungen für eine Verhandlungslösung voranzubringen, sollte die Bundesregierung in enger Absprache mit den größten bilateralen Geldgebern des Südsudans den diplomatischen Druck auf Präsident Salva Kiir und Rieck Machar erhöhen. Hierzu sollten auch Reise- und Visasperren sowie Finanzsanktionen gegen solche Individuen unterstützt werden, die für die Organisation von Verbrechen verantwortlich sind. Auch sollte ein Waffen-embargo über den Südsudan verhängt werden, um den Bürgerkriegsparteien den Nachschub zu erschweren. Berlin sollte sich außerdem dafür einsetzen, dass Vertreter der südsudanesischen Zivilgesellschaft in die Verhandlungen mit eingebunden werden und diese Teilnahme finanziell unterstützen.
  • Für die zukünftige Entwicklung des Südsudans ist es wichtig, dass Menschen-rechtsverletzungen und systematische Brüche des humanitären Völkerrechts geahndet werden. Deutschland sollte daher auch in Absprache mit UNMISS Kapazitäten zur Ver-fügung stellen, um unabhängige Menschenrechtsbeobachter in den Südsudan zu senden, die gerichtsfestes Beweismaterial zu den Gewalttaten sichern können. Es sollten deutsche Staatsanwälte und Forensiker geschickt oder die Entsendung von Experten anderer Staaten finanziert werden. Dies ist ein wichtiger Beitrag gegen die Straflosigkeit.
  • Deutschland sollte die humanitäre Hilfe für den Südsudan signifikant erhöhen.

 

Ein drohender Völkermord im Südsudan: Zivilisten im Südsudan brauchen jetzt mehr deutsches Engagement.pdf